Andreas Kampa: Der Ventilator

Mein neuer Zimmergefährte schnurrt in der Ecke wohlig vor sich hin. Es scheint ihm zu gefallen, mir warme Luft zuzuwedeln. Und obwohl er Cool Air heißt und mir eigentlich kühle Luft spenden müsste, bin ich zufrieden mit ihm. Woher sollte er die kühle Luft auch nehmen? In seiner Ecke ist die Luft genauso heiß wie bei mir auf dem Sofa; im Grunde also schichtet er sie nur um, schiebt heiße Luft zu heißer Luft. Trotzdem verschafft mir der neue Ventilator auf wundersame Weise Erfrischung. Es ist mir ein Rätsel, wie das möglich ist. Aber ich bin auch zu träge, um bei diesen heißen Temperaturen einen klaren Gedanken zu fassen. Ich sitze auf dem Sofa und warte, dass der Winter einbricht. Dann wird es endlich wieder kalt in meiner Wohnung. So kalt, dass ich den ganzen Tag nur noch in einer dicken Decke eingemummelt auf dem Sofa sitze. Ich frage mich langsam, ob ich jemals dieses Sofa verlassen habe. Irgendein Wetter ist ja immer. Regen zum Beispiel. Die Welt da draußen – habe ich sie jemals betreten? Nach den Gesetzen der Logik ist das völlig ausgeschlossen.

Wieder weht mir der Ventilator unlogisch erfrischende Luft zu. Ich genieße es für einen Moment, dann wendet er sich ab und weht dem Schrank frische Luft zu. Sofort beneide ich meinen Schrank und frage mich, was mein Ventilator mit seiner Teile-und-herrsche-Strategie bezweckt. Will er mich und meinen Schrank gegeneinander ausspielen? Uns zermürben, Wind – kein Wind – Wind – kein Wind – bis einer von uns beiden aus dem Fenster springt? Schwer zu glauben, dass mein Schrank das sein wird. Ich beobachte den schon seit Jahren, er hat sich nie einen Millimeter bewegt. Unter anderem deswegen habe ich ihn ja gekauft. Seine Beständigkeit war mir ein wichtiges Kaufkriterium gewesen und er hat mich nie enttäuscht.

Jetzt bemerke ich, dass er Füße hat. Er könnte also, wenn er wollte. Schließlich kommt das Wort Möbel vom lateinischen mobile, also beweglich. Mein lieber Schrank, das Spiel ist noch nicht entschieden! Dein Pokerface kann mich nicht täuschen. Auch ich sitze ja schon seit endlos langer Zeit regungslos auf dem Sofa, auch ich habe Füße, auch ich bin mobile. Aber der einzige, der sich hier bewegt, ist der Ventilator Cool Air. Wir sind alle ziemlich cool – äußerlich. Innerlich leiden wir und würden am liebsten aus dem Fenster springen.

Illustration: Flix

Das Telefon klingelt. Kommt es mir nur so vor oder hat der Schrank gerade gezuckt? Ich habe genug Western gesehen, um zu wissen, was jetzt Sache ist. Irgendwo scheut ein Pferd, einer der Duellanten verliert die Nerven und zieht. Böser Fehler. Ich jedoch bleibe cool. Der Schrank bleibt auch cool, der Tisch, die Stühle, der Fernseher, das Sofa – wir sind alle ziemlich cool. Und die Hitze ist immer noch unerträglich. Heißer könnte es in Colorado auch nicht sein. Mir kommt der Verdacht, dass die Westernfilme einen wesentlichen Punkt immer unterschlagen haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass bei allen Schießereien ein Ventilator anwesend war. Er blies die Luft von einem zum andern: Die Sache musste entschieden werden.

Niemand bewegt sich. Da verliert der Anruferbeantworter die Nerven und geht ran. Ich glaube nicht, dass der Anruf für ihn war. Ich glaube, es war eine Falle, die mir der Schrank gestellt hat. Das riecht doch meilenweit nach einer Falle. Ich habe genug Western gesehen, um zu wissen, was Sache ist. Auf keinen Fall werde ich mich von der Stelle rühren. Man hört immer wieder von Hitzetoten, die man nach Tagen regungslos in ihrer Wohnung findet. Ich habe mich immer gefragt, wie man an Hitze sterben kann. Jetzt weiß ich es: Ein Ventilator war im Spiel. Ein Mensch saß auf seinem Sofa und wartete, bis der Schrank sich als Erster bewegte.

Was habe ich mir da nur ins Haus geholt? Was für ein teuflisches Gerät! Cool Air – der Name war so vielversprechend und doch so trügerisch. Es hätte mich misstrauisch machen sollen, dass er sich bewegt. Noch nie hatte ich ein Gerät, dass sich von alleine bewegt, und war immer gut damit gefahren. Warum stellen sie überhaupt so was her – warum gibt es keinen Schalter...?

Moment mal! Ich habe mir die Bedienungsanleitung gar nicht durchgelesen. Mit letzter Kraft gehe ich zu dem Ventilator, schaue ihn mir genau an und entdecke einen Hebel, ziehe daran – der Ventilator bleibt in seiner Position und pustet nur noch Richtung Sofa. Triumphierend schaue ich zu dem Schrank. Damit hat er nicht gerechnet.