Schulter ist kaputt. Einfach so. Morgens. Aufgewacht. Schulter kaputt. Noch so gedacht: Mann, irgendwas ist aber auch immer. Schnell geguckt, ob der Rest vom Körper noch okay ist. Ja schon – obwohl? Fühlt sich irgendwie ungwohnt an. Vorsichtshalber in Spiegel geguckt. Nee, hatte ich mir anders vorgestellt. Fotos angeguckt. Zum Vergleich. Nee, nee, nee, das ist nicht mein Körper. Die hamm da irgendwas gemacht. Diese Schweine. Wahrscheinlich vergnügt sich jetzt irgendwo irgendein Playboy mit meinem tadellosen Körper und ich kann mich hier mit seinem abgehalfterten, verbrauchten Muskel- und Fettgewebe rumschlagen. Im Schlaf ausgetauscht. Die schrecken heute vor nichts mehr zurück. Und dann hat er sich auch noch die Schulter kaputtgemacht. Wie ist das denn bloß passiert? Wahrscheinlich beim Segeln. Auf seiner Yacht. Dieser Arsch mit seiner doofen Yacht. Wollte wahrscheinlich das Luvsegel eintreggeln oder so. Und dann: zack! Kennt man ja. Zu doof zum Luvsegel eintreggeln, dieser alternde Playboyidiot. Und dann nichtmal dazu stehn, sondern einfach die Körper austauschen. Nee, so’ne Sauerei. Was ist das nur für ne Welt geworden? Aber ich darf mich jetzt nicht verkriechen. Muß mit jemanden über alles reden.
Bei Nachbarin geklingelt. Ihr alles, alles erzählt. Sie hat Zweifel. Zeige ihr zum Beweis die Fotos. Sie sagt, die Fotos seien aus meiner Schulzeit. Das mit dem Körper austauschen könnte schon so gewesen sein, aber wahrscheinlich schon vor vielen, vielen Jahren… Na super, und wie erklärt sich dann das mit der Schulter? Ihre Theorie hat Lücken. Sage ihr das direkt ins Gesicht. Sie sagt aufmal, sie hätte noch viel zu tun und schickt mich weg. Na, hab ich ja wohl einen wunden Punkt bei ihr erwischt. Steckt sie etwa mit diesem Playboyidioten unter einer Decke? Hat sie nicht immer im Treppenhaus gefragt, wie es mir so geht, wie ich mich fühle? Warum wollte sie das wissen? Hat sie Informationen über meinen Körper gesammelt? Sollte in Zukunft mit ihr vorsichtiger sein.
Am nächsten morgen zur Ärztin. Schulter ist noch schlimmer geworden. Ärztin sagt: »Oh, oh!«, wie das denn passiert ist? Sage, wahrscheinlich beim Segeln, wohl beim Luvsegel eintreggeln oder so. Sie guckt komisch, schickt mich dann zum Spezialisten. Spezialist sagt: »Ohohohohoh!«, schickt micht zum Oberspezialisten. Oberspezialist sagt: »Ooohohoh…ohohohoh…«. Werde langsam ein bißchen stolz. Weiter zum Ober-spezial-super-duper-Schulterspezialisten. Super-duper-Schulterspezialist sagt: »Langweilig. Ne normale Bursitis-Erkrankung, ich soll mir bloß nichts drauf einbilden.« Diese Mediziner mit ihrem Latein-Gewäsch. Frage ihn, ob es nicht auch einen ordentlichen deutschen Namen für meine Schulterkrankheit gibt. Er sagt: »Klar, Kalkablagerung und akute Schleimbeutelentzündung.« Frage nochmal nach dem lateinschen Namen. Versuche ihn mir gut einzuprägen. Sollen doch andere Kalk in der Schulter haben und sich den Schleimbeutel entzünden. Ich hab Busirtis oder so.
Warum gibt es für Erwachsene und Alte keine schönen Namen für ihre Krankheiten? Kinderkrankheiten haben so hübsche Namen. Masern, Mumps, Scharlach. Das hat Klang, das hat Rhythmus. Von solchen Krankheiten erzählt man gerne. Aber: Kalk? Schleimbeutelentzündung? Wer will denn sowas? »Schultermumps«, das wär okay. Ich glaub, ich hab »Schultermumps«.
Dann gibt er mir Schmerzmittel. Großartige Schmerzmittel! Stelle schon nach kurzer Zeit fest, wie fantastisch diese Schmerzmittel sind. Spüre gar nichts mehr. Keine Schmerzen und auch sonst: nichts. Kann stundenlang fernsehgucken, alle Programme. Ich merk nichts.
Allerdings sollen sie Nebenwirkungen haben: extreme Müdigkeit, totale Lustlosigkeit, Wahnvorstellungen und Paranoia. Müdigkeit und Lustlosigkeit stimmen schon. Kürzlich beim Wassertrinken plötzlich mitten im Trinken einfach keine Lust mehr gehabt, keine Lust weiterzutrinken, aber zu müde gewesen, ums Glas abzusetzen. Einfach alles weiter durchs Gesicht und über Oberkörper geschüttet. Hinterher zu müde zum umziehen. Vier Stunden still gesessen, dann vom Trockenwerden erschöpft eingeschlafen. Kaum mehr Lust ganze Sätze. Zu müde für Verben. Schlaf meist vorm Objekt ein. Aber keine Schmerzen.
Und ich hab auch keine Wahnvorstellungen und Paranoia. Gottseidank, wär ja auch schlimm, gerade jetzt, wo ich so vor meiner Nachbarin auf der Hut sein muß. Und dazu noch diese ganze Verschwörung mit dem Playboyidioten und dem Körpertausch. Wenn ich jetzt auch noch Wahnvorstellungen hätte? Aber ich merk nix! Gar nix…
Horst Evers
Horst Evers (* 8. Februar 1967 in Diepholz; eigentlich Gerd Winter) ist ein deutscher Autor und Kabarettist.