Jürgen Witte: Zeig mir einen Ort, wo die Röcke noch rollen.

Denn: auf geht’s rauf geht’s
Mit einem Jammertaler zahlt keiner meine Zeche
Zieh schnell den Beutel raus mein Freund, gib einen aus und lächle

Fastnacht ist noch ein kleines Stück bis hin, aber wie in jedem jungen Jahr am Dreikönigstag spätestens, hat bei mir das Telefon geklingelt. Es klang wie ein Ferngespräch, würde der alte Muddy Waters singen, und er hätte auch Recht gehabt. Ein echter Blueser hört sowas. Schon am Klingeln: »The telephone ist ringing, sounds like a long-distance call!«

Ich hob ab, und die altvertraute Fistelstimme raunte mir was ins Ohr: »Ey Joe«, sagte er. Er nennt mich immer Joe, einerseits wegen des Witzes, andererseits wegen des coolen Englischs, und drittens, weil er mich schon immer so genannt hatte, damals während meiner kurzen Zeit, die ich in einer seiner Bands als Aushilfsrhythmusgitarrist verbracht habe. Er wußte um meine Verehrung für Jimi Hendrix, also nannte er mich »Joe«, weil er dann ganz oft »Ey Joe« sagen konnte. Als Jürgen an der Gitarre wollte er mich keinesfalls ansagen. »Des«, meinte er, »käme nicht so gut.«

»Wir tanzten damals übrigens nur einen Sommer«, dann mußte Friede­mann zum Bund. Wäre sein Vater ein echter Bauer, und nicht Fliesen­legermeister gewesen, Friedemann wäre, wie so viele damals, um den Bund rumgekommen, »unabkömmlich«, hieß das. Friedemann war leider abkömmlich. Und wie bei Elvis auch, nach dem Bund war er nicht mehr der selbe. 18 Monate nur unter Männern können eine verdammt lange Zeit sein. Und hinterher sitzt man wieder zu Hause am kalten Küchentisch und muss sehen, wo man bleibt. Aus dem jungen Rock’n Roller war, wie alle bald bemerkten, ein alternder Tanzmusiker geworden.

Ich hatte damals zwei kurze deutsche Strophen zu La Bamba für ihn zum Singen geschrieben, und das hat er mir nie vergessen. »NaNa nu tanzmal«, so in der Preisklasse. Das war wohl später oft ein ziemlicher Bringer gewesen. Spätestens bei der dritten Wiederholung haben die Leute das gemerkt, dass er jetzt deutsch singt, und Acht- bis Zehn-Minuten-­Versionen von La Bamba waren eben auch keine Seltenheit.

Also, der gute alte Friedemann, sein Nachname tut hier nichts zur Sache, war am anderen Ende der langen Leitung, der Friedemann, mein Schulfreund und auch heute noch, mit fast Fünfzig »Still going strong« als Wochenendwhiskeytrinker und verhinderter Pop-Musiker. Also das erzählt er mir zumindest. Ich habe ihn schon seit Jahren nicht mehr persönlich gesehen. Der selbsternannte Farfisa-Orgelgott der mittleren Ortenau 1975. Eigentlich aber fliesenlegt er im väterlichen Betrieb, und eben dieser Friedemann, hat wieder einen fetzigen Titel für die närri­sche Zeit bei mir bestellt.

Ein kleines Zubrot für mich; was tut man nicht alles im Haifischbecken des Kapitalismus, damit man nicht untergeht. Man muss sehen wo man bleibt und der Friedemann zahlt pünktlich und gar nicht mal so schlecht. Ich glaube, er sieht das auch ein bißchen als Mäzenatentum, der reiche Mann aus der Provinz greift dem armen Künstler in der kalten Metropole einmal im Jahr unter die Arme.

Er spricht immer von Stutz oder von Lappen, was diesmal, das weiß ich jetzt nicht mehr so genau. »Geld verdient man mit Fliesenlegen, mit der Kunst verdient man was Besseres«, sagt Friedemann gern. Auf meinem Bankauszug sind es dann doch immer wieder richtige echte Euro, und damit kann der arme Dichter hier in Berlin sich was Schönes einkaufen gehen. Wie Friedemann gerne motivierend einschiebt. Was Schönes, oder auch: Brot, Butter, Bier. Einfach alles.

»Was liegt an, du alter Saitenverbieger, noch immer schwer am Dichten, oder was?«, fragte mich denn der Friedemann auch diesmal gleich. Wenn er in die Hauptstadt telefoniert, strengt er sich, glaub ich, immer etwas mehr an, um was möglichst Originelles zu sagen. »Freddy Peace« hatte er sich zu Beginn seiner Musikerkarriere auch mal kurzzeitig genannt, wegen Friedemann, aber das konnten ihm wohlwollende Freunde dann gottlob wieder ausreden. »Freddy Peace and the Pieces«. Wie alle Keyboarder damals, hatte auch Friedemann Haare bis über die Schultern und einen peinlichen Hang zum Größenwahn. Er konnte Noten lesen – Gitarristen, es brauchte immer zwei davon, die spielten ja bloß Griffe. Später war von seinen Starallüren glücklicherweise nur das »The Pieces« übriggeblieben. Ein erfrischend nichtssagender Bandname, und nur dann ärgerlich, wenn die Kundschaft unzufrieden war und das Murren begann und die Leute die Band als »The Pissers« beschimpft haben. Mir ist das bei unseren zwei gemeinsamen Auftritten erspart geblieben, aber Butze, der Schlagzeuger hat mir ziemlich schlimme Sachen erzählt.

Noch immer hat der Friedemann, glaube ich, mindestens zwei Bands am Laufen. Eine, die im väterlichen Betrieb einen großen Übungsraum hat, mancher in Dorf sagt seit sogar Studio dazu, seine Band mit der er da rumtüftelt und die diesen geheimen Ort meines Wissens nach, nie verlässt. Früher hat er mir mal ein Demotape geschickt, irgendwo zwischen Rock-Jazz und Funk. Und dann hat er noch eine Band zum Auftreten. Verstärkt dann, wenn es wieder Fastnacht wird. Und da komme eben ich ins Spiel. Ich texte, Friedemann komponiert.

»Ein schmissiges, irgendwie aktuelles Teil. Was gegen das Jammern und dass es aufwärts gehen muss wäre toll.« Meinte er. Friedemann weiß, wonach es sein Publikum dürstet. Und mir fällt das Dichten auch immer leichter, wenn ich wenigstens ein vages Thema habe.

Also los, im Dreiviertetakt:

Die Eva und der Herbert
Die sitzen in ihrem Garten
Was den Herbert ärgert
Er muss nicht lange warten
Die Eva sagt dann Heckenschnitt
Und Herbert holt sich Bier
Bring doch auch die Schere mit
Und Bändel fürs Spalier

Auf geht’s rauf geht’s
Das haben wir doch schnell geschafft,
Immer, immer wieder und allein aus eig’ner Kraft
Wer da jetzt nach hinten schaut, wer nach unten blickt
Der verhält sich in dem Fall, echt ein Stück weit ungeschickt
Denn: auf geht’s rauf geht’s
Mit einem Jammertaler zahlt keiner meine Zeche
Zieh schnell den Beutel raus mein Freund, gib einen aus und lächle

Die restlichen drei Strophen schaffe ich nächste Woche auch noch. Manchmal ist es eben das, was übrig bleibt vom Rock ’n Roll.

Jürgen Witte

Jürgen Witte (*1956 in Karlsruhe). 1979 Flucht nach Berlin (West). Vortragender Autor beim ›Frühschoppen‹ und in der ›Reformbühne‹. Salbader-Senioren-Redakteur, lebt in Steglitz und hat nur das alte Web 1.0.