Andreas Gläser: Das Karussell des Clowns

Wir spazierten zum Wochenmarkt, dort gab es ein altes Kinderkarussell, das von einem Clown betrieben wurde. Er hatte rote Haare, wirre Locken, das passte ja. Er ragte wie ein kleiner Leuchtturm aus der sich zerstreuenden Menschenmenge hervor, war ja schon später Nachmittag, fast schon schöner Feierabend. Gut gekauft, gern verdrückt. Gleich würden der Imker, die Blumenfrau und der Clown dicht machen, dachten wir, und steuerten kurz entschlossen auf das gute alte Klapperding zu. Da musste mein Sechsjähriger jetzt durch, beziehungsweise rauf. Gab kein Riesenrad, Pech gehabt.

»Eine Runde?«

»Na gut.« – »Hier, ein Euro.«

Emil und der Clown wickelten das Geschäft ab. Kein Restgeld, nix Sparbüchse, schade. »Nimm den Hubschrauber«, rief ich rüber.

»Na gut.«

Ich sah in die Runde, wollte nix kaufen, nix klauen, nur so. Welch friedliches Miteinander auf dem Wochenmarkt, das war ja wirklich, also wirklich. Die Knopfaugen des Clowns funkelten, sein Mundwerk blieb still, sein Arbeitsgerät begann zu klappern. Emil war das einzige Kind auf dem Karussell, noch nie schien er mir so skeptisch, so als Einzelkind. Ich winkte ihm zu, er sah grimmig zurück; ich schmunzelte dem Clown zu, der nickte mit dem Kopf, der Ferdinand, oder wie der hieß. Warum redete der nicht? Großer Clown, kleiner Kommunikator, oder was? Waren wohl immer die selben Verkaufsgespräche: Guten Tag, was kostet das? Was? Ja, was? Hab ich zuerst gefragt ... Ein Euro, viel Geld, das musste er zugeben, machte er aber nicht, dafür ließ er den Kleinen länger im Kreise herum fahren, viel länger, wie ich bemerkte. Emil hatte schon zweimal zu mir rüber gewunken, das war vor etwa zehn Minuten gewesen. Ich fühlte, wie die Kälte meine Waden hoch krabbelte, mein Sohn schien einen kalten Hintern zu bekommen, er rutschte ungeduldig in seinem Hubschrauber umher, ließ sich etwas herab sinken, schreckte aber hoch, wahrscheinlich wurde ihm schlecht.

Illustration: Elke Pollack

Ich wollte mich nicht aufregen, zählte insgeheim bis drei und fragte den Clown möglichst unaufgeregt: »Haben Sie ein Antibrechmittel?«

Er zeigte sich kooperativ: »Paspertin oder Primperan?«

»Sie kennen sich damit aus? Ist ja furchtbar.«

»Gehört zu meinem Beruf. Eine müsste reichen.«

Ich griff nach dem Mittelchen und warf es Emil zu, aber es landete nicht im Hubschrauber, wie blöd – ich rief: »Halten Sie endlich an!«

Der Clown sah freundlich drein und nuschelte irgendwas, aber seine Schaltvorrichtung schien nicht auf jedes Signal zu reagieren. Er ließ seine Knopfaugen von der Blumenfrau zum Imker schweifen, deren Rollläden gerade runter gingen.

Ich erkundigte mich: »Falsche Fernbedienung, oder was?«

»Gehört zu meinem Beruf. Eine müsste reichen.«

»Denken Sie doch an das Kind!«

»Ja, denken Sie doch an das Kind!«

»So kommen wir nicht weiter!«

»Es geht immer weiter.«

»Ich habe nur ein Kind.«

»Wo ist die Mutter?«

»Ja, wo ist die Mutter?«

Emil war eingeschlafen, ohne Abendbrot, ohne Gute-Nacht-Geschichte.

»Sie Clown, das hat doch keinen Sinn!«

»Nein.«

»Aber das hat doch keinen Sinn!«

»Nein, nein, nein!«

Emil dreht seine Runden auf dem Karussell, wir die unseren im All. Wir schreiben bald das Jahr 2033, aber im Grunde haben sich die Menschen nicht verändert.