Marcus Hammerschmitt: Kind Und Geländ – Ein Bildungskurzroman

Das Kind ist ins Geländ eingebaut wie bei einem Architekt. »Der Norden«, denkt es, »der Süden«, daran merkt es, dass es ein Gehirn hat. Unter dem Himmel dreht sich seine Welt mit km/h. Nun heißt es: orientieren. Wie macht der Vogelzug? Wie macht das Pferd in fremder Gegend? Der Vogelzug zupft an den Magnetlinien wie an einer Zither, das Pferd trabt hin und her zwischen Trial und Error, was es sich aufgrund der höheren Lebenserwartung auch leisten kann. Das Kind aber ist voll da. Es lernt die Richtung anhand weniger Merkmale. Es vertiert bald, feilt sich die Zähne am Sandstein scharf und reißt Rentner, die spazieren gehen. Die Vorstädte meidend wird es klug auch in der verpesteten Natur. Im Kampf mit Fischottern und Wildbienen, mit Waschbären und Filialleitern setzt es sich neodarwinistisch durch und durch. Narben zieren seine lederne Haut, die nun auf die Schnelle bronzefarben wird wie bei allen Naturvölkern.

Wegen Meidung der Schulpflicht ergeben sich Bildungslücken. Das Kind begreift, dass ein Gehirn nicht reicht, es muss auch etwas hinein. Bei der Schulanmeldung knurrt es noch unangemessen, in der zweiten Klasse schon spricht es akzentfrei. Belobigung folgt auf Belobigung. Die Empfehlung lautet gleich auf Fachhochschule. Eingedenk seiner Herkunft wird das Kind Agraringenieur oder Architekt. Es muss das Geländ bezwingen, in dem es früher einfach Gast war.