Hinark Husen: Sag mal Örrrdbörrrö

Kinder mit Migrationshintergrund bedürfen einer speziellen Förderung. Migrationshintergrund ist ein schönes Wort, wie ich finde, das macht was her, das könnte ich eigentlich gleich in meine Sprachförderung mit einbauen.

»Ihr seid Kinder mit Migrationshintergrund. Fatma, sag doch mal Miiigraaazzzionshintergrund!« Okay, das wäre wohl eher ein Wort für den Leistungskurs. Wenn es nach einigen besonders ehrgeizigen Bildungspolitikern geht, dann kann man ja gar nicht früh genug anfangen mit der fachspezifischen Förderung. »Windelfrei in zwei Tagen, ein Wochenendseminar für Menschen ab anderthalb. Powerpointkenntnisse hilfreich, aber nicht zwingend erforderlich.«

So was wär’s doch, da sollen aber andere den Kursleiter machen. Ich habe meine Sprachförderung; immerhin auch fünf Mal die Woche, jeweils maximal 20 Minuten, das schaffen die Dreijährigen mit Migrationshintergrund gerade noch, und natürlich in Kleingruppen mit höchstens vier Kindern, alle im Alter von circa 3 Jahren. Die Einteilung habe ich mir auf einen Zettel notiert.

Gruppe 1: Fatma, Ibrahim, Ali und Mohamad,

Gruppe 2: Adnan, Haifa, Hassan und Yasemin.

Falls ein Ahnungsloser diese Notiz findet, könnte ihn das bei diesen Namen natürlich auch schnell auf terroristische Splittergruppen hinweisen. Selbst wenn ich meinen Zettel mit ›Sprachförderung‹ übertitelte, würden man das wahrscheinlich nur für ein Codewort halten.

Egal, bisher habe ich die Kleinen jedenfalls noch nicht Migrationshinter­grund einüben lassen, obwohl das für die spätestens in drei Jahren – also mit der Einschulung – eine wichtige Vokabel wird. Das wäre doch toll, wenn Hassan schon in der ersten Klasse sagen kann:

»Weißt du, bin isch Kind mit ‘Migrationshintergrund‘, ist konkret schwere Sozialisation, Alta, verwechsel das nischt mit Opfer, wenn du das sagst, bist du selbst Opfer.«

Nein, ich lasse die Kinder erst mal Gemüse- und Obstsorten erkennen und benennen. Vor drei Wochen konnten sie nur Apfel und Tomate zweifelsfrei unterscheiden und verbalisieren. Dazu gekommen sind mittlerweile immerhin Birne, Kirsche, Pflaume, Radieschen, Möhre und Paprika. Wobei mir die Birne und die Kirsche ein bisschen Kopfschmerzen machen, weil ich dabei immer aufpassen muss, dass ich ihnen kein westfälisches Klangmuster beibringe. Bei mir heißt es ja eigentlich Biäne und Kiäsche. Aber irgendwann werden sie ohnehin Bürne und Kürsche sagen, das kommt von ganz alleine. Da kann man nix gegen machen. Genauso wie nach der Zehn die Ölf kommt und nicht die Elf.

Mein erfolgreichstes Wort war ja bisher die Möhre. Das kann man auch hübsch spielerisch lang ziehen: »Möööhre!« Toll, das geht jetzt soweit, dass mich Ibrahim mittlerweile jeden Morgen mit Möhre begrüßt, wenn ich in die Kita komme. »Hallo Möhre!« Das Wurzelgemüse ist momentan seine absolute Lieblingsvokabel. Ibrahim geht ja auch gerne zu mir in die Sprachförderung.

Bei Fatma liegen die Dinge etwas anders. Vor ein paar Tagen hatte auch sie noch ihren Spaß an Möhre und Pflaume. Dann aber, eines Morgens, wie aus heiterem Himmel, ein Schreikrampf vom Feinsten, als ich sie zur Sprachschule mitnehmen wollte. Ich sage Schule, weil das leichter auszusprechen ist. Ich könnte natürlich auch Kurs formulieren, das klingt aber zu abgehoben. Na, jedenfalls heulte das Mädel los, als hätte ich gerade ihrer Puppe den Kopf abgerissen oder sie dazu gezwungen Schweinebraten zu sagen. Keine Ahnung, woher diese plötzliche Ablehnung kam, vielleicht ging ihr die Möhre ja auf den Keks (’tschudigung: Keks). Vielleicht hatte ich sie ja doch ein bisschen intellektuell unterfordert.

Mich fragt allerdings keiner, wie ich mich fühle, wenn ich 40 Minuten lang im Prinzip mit nur zehn Wörtern hantiere. Oder Fatma empfindet das ständige Möhreherbeten als eine sexuelle Belästigung. Das glaub ich aber eher nicht, das war mir nur so herausgerutscht, einer Kollegin gegenüber, die da gerade daneben stand. Ich meine, wir separieren uns ja immer für die Übungen und gehen in einen kleinen Raum, um ungestört zu sein. Was glauben die Kollegen denn, was ich da anstelle? Wo ich doch sowieso nur der Hiwi bin, und der entwickelt sich da also heimlich zum Kinderquäler? Nein, ich kann ja, wenn’s zum Äußersten kommt, Haifa und Yasemin als Kronzeugen der Verteidigung aufrufen. Deren Wortschatz ist allerdings noch nicht allzu groß, und wenn sie dann nur Möhre und Banane sagen, sobald sie mich sehen, dann ist das vielleicht auch keine große Hilfe.

»Paprika!«, werde ich mich zu retten versuchen, sie können auch schon ganz super Paprika sagen, oder: Radieschen! Aber zu spät. Durch Möhre und Banane sind meine abseitigen Neigungen längst schon hinreichend entlarvt.

Was soll’s? Gestern habe ich auf den Tipp eines Freundes hin mal was ganz Anderes versucht, auch wegen der Integration und so. Da hab ich meine Sprachmelodie in gewisser Weise mal auf’s Braunauische gelegt: Ich habe also die Örrrdbörrrö eingeführt! Den Kindern hat’s prima gefallen. Immerhin ich hab nicht Blot und Bodenbörrö gesagt, es war nur Örrrdbörrrö.

Vielleicht werden die Kleinen ja in ein paar Jahren im Politik-Unterricht beim Anhören von Hitler-Dokumentationen plötzlich Appetit auf Erdbeereis verspüren. Wer weiß, wie’s kommt? Ich glaube aber, ich lasse das in Zukunft doch lieber mit der ›österreichischen‹ Aussprache. Wenn die simple Möhre mich schon in Schwierigkeiten bringt, so wird mich die Örrrdbörrrö dann womöglich den Job kosten. Obwohl, so schlimm wäre das auch wieder nicht.