Kirsten Fuchs: Ich und Outdoor

Sobald ich meine Wohnung verlasse bin ich theoretisch outdoor, aber so leicht ist das nicht, denn es ist ja nicht gleich jeder outdoor, der mal eben schnell zum Bäcker geht. Für Outdoor braucht man Equipment.

Letzten Sommer plante ich eine längere Wanderung und stellte mir alles ganz schön vor, bis ich anfing, wirklich mit der Planung anzufangen, und alles komplizierter als schöne Vorstellungen wurde. Mir war schooon klar, dass einfach loslaufen nicht geht, aber wie sehr einfach loslaufen nicht geht, stand überall im Internet. Das ging nämlich gar nicht. Einfach loslaufen konnten nur noch Flüchtlinge, die über die Grenze wollen. Wer in seiner Freizeit loslaufen wollte, um an seine eigenen Grenzen zu kommen, der machte sich in den Augen der Profis ohne atmungsaktives Pipapo zum Hannes des Waldes. Allerdings stellte ich später fest, dass man sich in den Augen der normalen Landbevölkerung mit buntem atmungsaktiven Pipapo sowieso zum Hannes des Waldes macht. Es blieb mir also nur die Wahl zu wessen Hannes des Waldes ich mich machte, zum Profi-Hannes des Waldes oder zum Amateur-Hannes des Waldes. Aber all das war mir noch nicht bewusst, als ich in der Vorbereitungsphase war.

Man musste ja schon mal die Outdoor-Schuhe ein Jahr lang einlaufen, bevor man mit denen laufen durfte. Im Internet hatte ich gelesen, dass gute Schuhe eine bedeutendere Anschaffung sind als ein Spendenorgan. Das muss absolut passen, aber absolut; wenn nicht, das mag man sich nicht ausmalen, da fault einem der Fuß ab oder das ganze Bein verdreht sich um 90 Grad. Ich hab mich also nicht getraut, Wanderschuhe bei Neckermann zu bestellen. Das könnte Abstoßungsreaktionen geben, die sich kein normaler Mensch vorstellen kann. Meine Füße würden beim Laufen die Schuhe von sich schleudern. Außerdem muss man genau wissen, was man damit will, mit den Schuhen: radfahren, laufen, zum Outdoor-Bäcker gehen oder in einem Rapsfeld tanzen.

Meine Eltern, die Barbaren, hatten mich in meiner Kindheit alles in Halbschuhen laufen lassen. Ein richtiger Schuh muss eins mit dir werden und wer sich erst einmal Schuhe kaufte, die eins mit ihm wurden, der braucht dann noch Hose und Jacke, die dasselbe leisten können. Im Prinzip kaufst du dir neue Füße, neue Beine und eine neue Haut. Ich hatte Angst davor. Ich wusste, wenn ich damit anfange, werde ich wie die. Wer einmal richtig bequeme Kleidung anhatte, der zieht dieses Gefühl vielleicht der Ausstrahlung auf das andere Geschlecht vor.

Als ich das erste Mal in einen Outdoorladen ging, fühlte ich mich, als ob man mir ansähe, dass ich nur eine Tu-so-als-ob war, die hier mal reinschnuppert, die vorher ganz viel im Internet gelesen hatte. Ich stellte mich, ganz Frau von Draußenwelt, in den Knien wippend lässig an ein Regal und fummelte cool an Campingkochern herum, bis einer laut scheppernd in seinen Teleskopbeinchen einknickte. Hui, peinlich. Ich summte eine kleine Outdoormelodie – Hoch auf dem gelben Wagen – und sah mich weiter um. Im Laden waren nur kernige Männer, die die Alpen hochkant laufen und Kopfschmerzen in geschlossenen Räumen bekommen, die ihre Super-selbst-aufblas-Isomatten auf dem Balkon liegen haben, um da zu schlafen, die unter die Super-selbst-aufblas-Isomatten extra Gebirgs-Schotter drunter streuen, weils sonst zu gemütlich wäre, die nur von Plaste und Blech essen können, die sich vom Balkon morgens abseilen, zur Arbeit joggen und dabei imprägnierte Powerriegel essen.

Ein Verkäufer sprach gerade mit einem jungen Mann darüber, welcher Helm zu empfehlen sei. Das hinge natürlich davon ab, erklärte der Verkäufer, wie man vorhatte auf den Kopf zu fallen, aus welcher Höhe und auf welchen Untergrund. Outdoor hin oder her, das klingt zwar nach Natur, ist aber in Wahrheit das Suchen von Gefahr und Geld ausgeben dafür, damit die Gefahr nicht gefährlich würde. Inzwischen war eine Frau in den Laden gekommen, die ihr Haar wachsen ließ, wie es gerade Lust hatte, und wer weiß, wie oft der lange Zopf ihr schon das Leben gerettet und wie viele Menschen sie damit schon aus dem Morast gezogen hatte. Sie war von oben bis unten in Vlies gekleidet und fragte den Verkäufer etwas über irgendeine Jacke von Fledermaus, die sie auf einer Messe gesehen hatte. Teuer wären die, sagte der Verkäufer. Ja, aber das Material, sagte die Frau. Sie schwiegen andächtig.

Illustration: Josh Baumann

Ich dachte darüber nach, ob so eine Outdoormesse drinnen oder draußen stattfindet. Einfach auf einem Feld und wenn’s regnet noch besser, dann können alle was drüber ziehen, das sie extra für den Fall haben. Ein Jammer, wenn es da nicht ab und an mal regnen würde. In diese Gedanken versunken, war ich am Regal mit den Wanderschuhen angekommen und wusste nicht recht, was ich an denen jetzt fachmännisch befummeln sollte. Sonst kaufe ich Schuhe, die mir gefallen, aber darum würde es diesmal nicht gehen. Es gab Schuhe, die nicht ganz so klopsig aussahen wie andere, die gefielen mir ein ganz klein wenig besser. Die Preise gefielen mir alle nicht. Ich drückte an den Sohlen rum, überlegte draufzuspucken, um zu gucken, ob sie auch wirklich wasserdicht sind. Mich sprach ein Verkäufer an. »Schuhe suche ich«, sagte ich. »Wofür«, fragte er. »Zum Wandern.«

»Welcher Untergrund?«

»Na, so Brandenburg«, sagte ich. Jetzt war es raus. Jetzt wusste er also, dass ich nicht weit weg wollte. Ich schämte mich. Brandenburg, also ein Tagesausflug, dachte er bestimmt.

»Und Mecklenburg Vorpommern«, setzte ich einen drauf. Da war er aber beeindruckt.

Ich probierte ein paar Schuhe an, vom Preis motiviert, vor allem die runtergesetzten. Dann trullate ich noch eine Weile im Laden rum, lief mit klumpigen Schuhen über die kleine aufgebaute Teststrecke aus Stock und Stein, dann verkündete ich auf Nachfrage, dass ich ich mich in keinem der Schuhe richtig wohl fühlen würde. Das fand ich gut von mir. Das zeigte Anspruch an den Schuh. Der Verkäufer wollte wissen, ob er sonst noch was für mich tun könne, und ich fragte nach einem Gegenstand von meiner endlos langen Liste von Dingen die ich noch besorgen musste, wo auch z.B. »Kompass« draufstand, was mir zu peinlich gewesen wäre in diesem Mekka der Draußenfuzzis zu kaufen, weil der Verkäufer dann gewusst hätte, dass ich keine Ahnung habe, wie das Moos an Bäumen wächst. Ich fragte also nach was Komplizierterem: Kühlkissen. Davon hatte ich im Internet gelesen. Ja, so gut war ich vorbereitet, dass ich immerhin auch an Verletzungsgefahr dachte und an Kühlung einer Wunde. Der Verkäufer schaute mich an, als wolle ich Picknicksahnekännchen mit Gänseblümchendekor erwerben. Ich erklärte, dass es doch so Kühlkissen geben müsse, die man wie die Wärmekissen irgendwie knickt und dann gibt es eine chemische Reaktion. Der Verkäufer sagte mir, da hätte ich eine schöne Erfindung gemacht, jetzt müsste ich nur noch dafür sorgen, dass das chemisch irgendwie zu machen sei. Als ich den Laden verließ, bildete ich mir ein, dass der Verkäufer dem anderen Verkäufer davon erzählte, der es dann für alle Kunden im Laden nochmal erzählte. Ein großes Gelächter saß mir im Nacken, als ich von dannen trottete, eine lange Liste von Gegenständen in der Tasche, die ich nicht besorgt hatte.