Robert Weber: Mein erster Videorecorder

Lange Zeit hatte ich mich auch dagegen gesträubt, ließ mich aber letzten Endes dann doch von Lothar, keiner verdient den Namen Waldschrat mehr als er, von den Vorteilen einer solchen Anschaffung überzeugen. Ich würde, so er, mittels eines Videorecorders endlich in der Lage sein, mich von den Ketten festgelegter Uhrzeiten vor dem Fernseher zu befreien, würde mich nie wieder ärgern, einen Film verpasst zu haben, nein, das Programmieren der Aufnahme wäre kein Problem und sei so einfach, wie die Tasten eines Kassettenrecorders zu betätigen, wozu ich ja wohl in der Lage wäre, könnte mir zudem jederzeit einen zwei Jahre alten, also im Prinzip fast aktuellen, Kinofilm aus der Videothek holen, sei auch hier nicht mehr den nationalbolschewistischen Spielzeiten ebendieser Kinos ausgeliefert, was mich auf Dauer auch deutlich billiger käme, und weil er grade dabei wäre, er hätte auch einen nahezu brandneuen, mit kaum gebrauchten Gebrauchspuren versehenen, absolut zuverlässigen und funktionstüchtigen Apparat unter dem Messer gehabt, dessen ursprünglicher Besitzer, der diesen bei ihm zur Reparatur abgegeben habe, sich aber nicht mehr bei ihm meldete, so dass er mir das Gerät getrost zu einem Spottpreis von 50 Deutschen Mark überlassen könne.

War man einmal in Lothars Elektrowerkstatt gelandet, was bei mir relativ häufig der Fall war, da sich dort stets ein Sammelsurium an Bier trinkenden, gescheiterten Existenzen herumtrieb, zu denen ich mich zu jener Zeit zählte und von denen immer jemand was zu kiffen dabei hatte, konnte man sicher sein, am Ende des Tages Inhaber eines elektrischen Gerätes zu sein, von dessen unbedingter Notwendigkeit einen zu überzeugen Lothars größtes Talent war, während seine Fähigkeiten als Elektrotechniker sich eher im bescheidenen Rahmen hielten.

Und so kam es, dass ich am Abend, als ich ziemlich alkoholisiert und reichlich stoned nach Hause stapfte, das relativ neuste Model eines Video-2000-Recorders unterm Arm trug, den ich am nächsten Tag in froher Erwartung an meinen rotstichigen Grundig anschloss, den ich einige Wochen vorher ebenfalls bei Lothar erworben hatte.

Da ich gerade keine Videokassette zur Hand hatte und meine Mitbewohner, aus welchem Grund auch immer, ihre Zimmertüren abschlossen, wenn sie aus dem Haus gingen, machte ich mich auf den Weg ins Paradies, das damals einfach nur den schlichten Namen Videothek trug und die einzige in der kleinen Stadt am Ufer des Mains war, die ich damals meine Heimat nannte. Für einen Filmfreak wie mich, wie gesagt, der Himmel auf Erden. Endlich konnte ich all die Schätze heben, von denen ich schon so viel gehört und die ich doch nie zu Gesicht bekommen hatte. Erstens, weil ich die für mich interessanten Neuerscheinungen im Kino stets erst dann mitbekam, wenn sie wieder aus dem Programm geflogen waren, und zweitens, weil ich mich ja erst seit einigen Wochen im Besitz eines Fernsehers befand und drittens, weil es in der Regel fünf Jahre dauerte, bis ein Kinofilm den Weg in die öffentlich-rechtlichen Programme fand und das, viertens, wenn überhaupt.

Ich legte mir also eine Kundenkarte zu, griff mir den Blade Runner, den Highlander und das Alien und machte es mir vor dem Fernseher bequem. Ein Sixpack stand auf dem Tisch, Knabberzeugs war eingekauft und ein vorgedrehter Joint stak mir zwischen den Lippen, als ich versuchte, eine der Kassetten einzulegen. Als ich die Filme zur Reklamation in die Videothek zurückbrachte mit dem Hinweis, dass diese wohl auf ein völlig veraltetes System zugeschnitten seien, weshalb sie nicht in das Fach meines brandneuen Video 2000 passten, fiel der einzige Mitarbeiter und Chef der Verleihanstalt in einen für mich völlig unangebrachten Lachkrampf. Ich könne ja wohl von einer Videothek erwarten, so ich, dass man formattechnisch auf dem neusten Stand sei, was beim Angesprochenen aber nur weitere Anfälle von Heiterkeit auslöste. Als er sich beruhigt hatte, erklärte er mir, dass die Produktion von Video-2000-Geräten bereits 1985 eingestellt worden sei, ich also bestenfalls auf einem fünf Jahre alten Gerät herumsäße und zweitens der Videokrieg zwischen den Systemen VHS, Betamax und Video 2000 bereits vor annähernd zehn Jahren zugunsten des VHS-Formates entschieden worden wäre. Vor allem deshalb, weil auf Video 2000 keine Pornofilme liefen, was sich die beiden Hersteller Phillips und Grundig in ihrer Prüderie bei dessen Einführung 1978 ausbedungen und womit sie ihr eigenes Grab geschaufelt hätten. Denn Pornos seien nunmal der Hauptgrund, weshalb man sich einen Film zu Hause ansehe, was er jetzt keinesfalls aus der Luft greife, sondern anhand seiner Verleihstatistik, die sich im Großen und Ganzen vermutlich mit denen anderer Videotheken decke, belegen könne.

Auch das Gelächter meiner beiden Mitbewohner war kein kleines, als ich ihnen von meiner neusten Eskapade in Sachen Technik berichtete, und sie meinten, ich solle doch am besten noch einmal mit Lothar sprechen und mir vor allem die 50 DM zurückgeben lassen. Lothar wiederum schüttelte nur seine verfilzte Mähne, kraulte sich besonnen den Bart und meinte, dass Video 2000 in absehbarer Zeit eine Renaissance erleben werde, weil sich Qualität immer durchsetze und Video 2000 gegenüber VHS einfach deutliche Vorteile habe. Er erwähne hier nur, dass man ein 2000er Band beispielsweise, wie eine Audiokassette, beidseitig bespielen könne, somit eine doppelte Laufzeit habe und alleine deshalb der Erfolg von VHS bestenfalls ein kurzfristiger sein könne, weil sich der Konsument schließlich nicht verarschen ließe. Ich solle also gelassen der Dinge harren, die da kämen, und wie es der Zufall so wolle, habe er gerade einen Karton mit 2000er Kassetten in seiner Werkstatt gefunden, deren Zustand nahezu neuwertig wäre, von denen er zwar nicht wisse, was sie enthielten, aber gerade das wäre ja das Aufregende, gerade für einen Entdeckertypen wie mich, und er könne mir das ganze Paket pauschal zu einem Freundschaftspreis von 50 Mark überlassen.

Was sollte ich machen? Bei einem solchen Schnäppchen konnte ich schlecht nein sagen, zudem würde mir das Bandmaterial bis zum endgültigen Siegeszug des Video-2000-Formates dabei helfen, die Zeit zu überbrücken, und ich freute mich schon jetzt auf die Gesichter meiner Mitbewohner, wenn sie auf ihren dämlichen VHS-Recordern nur noch veralteten Schrott abspielen konnten.

Und so gingen die Jahre ins Land, bis ich schließlich die Hoffnung aufgab und mir einen VHS-Recorder kaufte. Natürlich auch von Lothar, der von seiner damaligen Prognose, das Video-2000-System betreffend, nichts mehr wissen wollte. Ich besorgte mir also ein Sixpack, Knabberzeugs und was zu kiffen und machte mich auf den Weg in die Videothek, die immer noch einfach nur Videothek hieß. Nach Filmen auf VHS hielt ich dort allerdings vergeblich Ausschau und als ich mir endlich einen DVD-Player zulegte, hatte die Blue-Ray-Disk ihren Siegeszug angetreten.

Das ist allerdings eine andere Geschichte, die in einer nicht allzu fernen Zukunft spielt.