Paul Bokowski: Der Newsletter

Seit etwa drei Jahren bekomme ich alle vier Wochen einen Newsletter. Den Newsletter eines Theaters, um genau zu sein – der Schaubühne am Lehniner Platz. Man hatte mich damit geködert, dass jeder Newsletter ein kleines Gewinnspiel enthielte. Alle vier Wochen konnte man somit Freikarten für die verschiedenen Inszenierungen der Schaubühne gewinnen. Das ist schon lange nicht mehr so. Der Andrang oder der Aufwand mögen zu groß gewesen sein, aber vor einem Jahr schon wurde das Gewinnspiel wegrationalisiert. Seitdem habe ich aufgehört, den Newsletter zu lesen. Tatsächlich ärgere ich mich mittlerweile, dass ich den überhaupt noch bekomme. Denn schon vor Monaten habe ich erfolglos versucht, ihn wieder abzubestellen:

»Dies ist ein Newsletter der Schaubühne am Lehniner Platz. Zum Abbestellen senden Sie bitte eine leere E-Mail an noschaubuehnenewsletter@schaubuehne.de«

Das habe ich getan. Genau das, und ich tue es noch immer. Denn es will und will nicht funktionieren. Anstatt einer erhofften Kündigungsbestätigung trudelt alle vier Wochen ein brandneuer Newsletter der Schaubühne bei mir ein und jedes Mal, beharrlich und ausdauernd, antworte ich mit einer leeren E-Mail an noschaubuehnenewsletter@schaubuehne.de darauf.

Dann erreichte mich aber eine eher ungewöhnliche, wenn auch seltsam vertraute E-Mail, die ich mir bis jetzt noch nicht so recht zu erklären weiß.

16. September 2008 - 23 Uhr 36
hallo
ich möchte fortan keinen newsletter der schaubühne mehr zugeschickt bekommen.
vielen dank und weiterhin gute arbeit!
ihr thorsten bock

Das Problem daran: Ich bin weder die Schaubühne noch kenne ich einen Thorsten Bock. Einen Augenblick lang überlegte ich, ihm zu antworten oder die E-Mail einfach an noschaubuehnenewsletter@schaubuehne.de weiterzuleiten. Aber ich beschloss, die Angelegenheit einfach auf sich beruhen zu lassen, und ging zu Bett.

Illustration: Josh Baumann

Als ich aber am nächsten Morgen meinen Rechner hochfuhr und mein E-Mail-Programm öffnete, fand ich nach langen Minuten der runterladenden Tätigkeit über 160 E-Mails in meinem Postfach.

Anbei eine kleine Auswahl:

Liebe Schaubühne Verwaltung,
irgendwie ist die nachfolgende Nachricht in meinem Postfach gelandet.
MfG
Carsten Konrad
>hallo
>ich möchte fortan keinen newsletter der schaubühne mehr
>zugeschickt bekommen.
>vielen dank und weiterhin gute arbeit!
>ihr thorsten bock

Sehr geehrte Damen und Herren,
wie kann es denn zu so einem Irrläufer in Ihrem System kommen???
Mit besten Grüßen
Karina Haupt
>hallo
>ich möchte fortan keinen newsletter der schaubühne mehr zugeschickt
>bekommen.
>vielen dank und weiterhin gute arbeit!
>ihr thorsten bock

Sehr geehrte Damen und Herren,
bitte nehmen Sie sich ENDLICH der folgenden Angelegenheit an.
leicht genervt
Hans-Peter Ricke.
>Liebe Schaubühne Verwaltung,
>irgendwie ist die nachfolgende Nachricht in meinem Postfach gelandet.
>MfG
>Carsten Konrad
>>hallo
>>ich möchte fortan keinen newsletter der schaubühne mehr
>>zugeschickt bekommen.
>>vielen dank und weiterhin gute arbeit!
>>ihr thorsten bock

Sehr geehrte Damen und Herren, könnten Sie das abstellen bitte? Ich erhalte hier laufend diese E-Mails! Kornelia Hummel

Hallo,
ich habe hier 16 e-mails von mir völlig unbekannten Leuten im Posteingang. Die entweder alle ihren Newsletter kündigen wollen oder sich darüber beschweren, dass ihnen Kündigungen anderer Leute zugemailt wurden. Was soll das denn bitte sein, frage ich mich. So ein nachlässiger Umgang mit Kundendaten geht aber nicht! Ich lösch das jetzt mal und hoffe auf ein einmaliges Versehen!
MfG
Barbara Goll

Liebe Barbara Goll,
16 E-Mails? Du Glückliche! Ich habe hier hunderte.
Schönen Gruß
Kornelia Hummel

Hunderte? Du Arme. Jemand sollte endlich mal etwas dagegen unternehmen. Warum passiert denn da nichts? Ich kannte übrigens mal eine Anne-Marie Hummel. Gibt es da vielleicht irgendwelche Verwandtschaftsverhältnisse?
Lieben Gruß
Barbara Goll

Hallo
wir möchten fortan keinen newsletter der schaubühne und auch keine E-Mails von KORNELIA HUMMEL oder BARBARA GOLL mehr zugeschickt bekommen.
vielen dank und weiterhin gute arbeit!
ihr thorsten bock UND ihr Carsten Schiller

Mein Name ist Günther, ich bin 58 Jahre alt, jünger aussehend, liebevoll und gebildet. Ich suche auf diesem Wege eine Frau, mit der ich meinen Lebensabend teilen kann. Wenn für dich das Aussehen und die finanzielle Situation zweitrangig sind und du meine Vorliebe für Modellsegelboote und Tierpräparate teilen kannst, dann melde dich unter noschaubuehnenewsletter@schaubuehne.de

Hundewelpen günstig abzugeben. Mischlinge aus eigener Zucht. 8 Wochen alt, alle geimpft. Näheres unter hundewelpen@schaubuehne.de

Sind Sie auf der Suche nach einem sicheren und natürlichen Weg, Ihren Penis dauerhaft zu verlängern? Dann schicken Sie einfach eine E-Mail an noschaubuehnenewsletter@schaubuehne.de

Heiße willige Schlampen über 50 warten auf dich. Nur in der Schaubühne am Lehniner Platz.

hallo
ich habe meine meinung geändert und möchte fortan doch wieder den newsletter der schaubühne zugeschickt bekommen.
vielen dank und weiterhin gute arbeit!
ihr thorsten bock