Robert Rescue: Die Hölle auf Erden

Die Hölle auf Erden heißt Jobcenter Mitte und sie ist eine doppelte Hölle, denn das Jobcenter befindet sich in Moabit. Dennoch halte ich mich oft dort auf, um genau zu sein, täglich. Mit meiner Anwesenheit verdiene ich mir ein Zubrot zum Hartz-IV-Geld, allerdings auf eine ungewöhnliche Weise.

Ich bin keiner der Sachbearbeiter am Servicecounter, auch gehöre ich nicht zu den Leuten vom Sicherheitsdienst und ich bin auch nicht der dicke, verschwitzte Mann, der im Warteraum einen Bücherstand betreibt und den Kunden damit die Wartezeit verkürzt.

Die Angestellten und der Sicherheitsdienst beäugen mich jeden Tag misstrauisch. Sie können nicht glauben, dass sich jemand freiwillig hier aufhält. Wahrscheinlich haben sie sich schon Gedanken gemacht, was ich hier so treibe, aber sie haben keine Handhabe gegen mich. Ich tue das, was alle Kunden des Jobcenters machen – ich warte.

Meine Arbeit beginnt morgens um 8 Uhr 30, wenn das Jobcenter öffnet und die erste Warteschlange hereingelassen wird. Der Stau im Innern des Gebäudes verläuft durch einen Raum, der mit Absperrseilen in ein labyrinthähnliches Gangsystem unterteilt ist. Steht man am Anfang des Gangsystems, dann dauert es etwa eine Stunde, bis man vorne angekommen ist und vom Sicherheitsdienst zu den einzelnen Angestellten des Servicecounter gewiesen wird. Auf den letzten Metern fängt dann mein Job an. Meist steht hinten in der Schlange jemand, der deutlich den Eindruck macht, im Stress zu sein oder der gar keine Lust hat, hier anzustehen oder beides. Den winke ich dann zu mir heran und nach einem kurzen Flüstern sowie einer verdeckten Handreichung nimmt er dann meinen Platz ein und ich wechsele an das Ende der Schlange. So läuft es im günstigsten Fall. Wenn ich dann wieder auf die vorderen Plätze gerückt bin, erscheint entweder ein Stammkunde oder ich erspähe einen anderen Wartenden, der bereit sein könnte, für eine Verbesserung seiner Platzierung 10 Euro zu zahlen.

Schlecht läuft es dagegen für mich, wenn ich zum Servicecounter gewiesen werde. Entweder gehe ich dann nach vorne und lass mir irgendein Formular oder eine Auskunft geben, oder ich drehe eine kleine Runde in Richtung Ausgang und reihe mich dann hinten wieder ein.

Am Vormittag habe ich wenig Kunden. Aber ab 11 Uhr kommen die »letzten S-Bahnen«, wie sie der Sicherheitsdienst nennt. Das sind die Spätaufsteher, die sich noch rechtzeitig einreihen wollen, bevor das Jobcenter ab 12 Uhr 30 niemanden mehr einlässt. Das sind meine liebsten Kunden, denn die sind so genervt, weil sie auf dem Jobcenter erscheinen müssen, dass sie sogar 20 Euro und mehr zahlen, um schnellstmöglich den Ort wieder verlassen zu können.

Alle halbe Jahr passiert es, dass ich in der Schlange stehe, ohne Geld damit zu verdienen. Dann habe ich selbst einen Termin und lasse selbstverständlich niemanden auf meine Position vorrücken. Allerdings wünsche ich mir in diesen Momenten, dass jemand anderes die gleiche Dienstleistung wie ich anbieten würde. Doch kein Mensch hält sich freiwillig in der Doppelhölle Jobcenter/Moabit auf und deshalb bin ich der einzige Anbieter. Schade, denn ich würde gut dafür zahlen.