Daniela Böhle: Was ich noch loswerden wollte

Im 176er ist alles so, wie ich es erwartet habe. Auf jedem Doppelplatz sitzt am Gang eine Frau und am Fenster ihre Tasche. Ich wähle eine der Frauen aus, die sich alle seltsam ähnlich sehen, eine, die genug Beinfreiheit hat, damit ich mich an ihr vorbeiquetschen kann. Unternehmungslustig schwinge ich mich über die Gangfrau und lasse mich mit Schwung auf ihre Tasche fallen. Es macht ein Geräusch und ich lache auf.

»Huch!« rufe ich, »ich glaube, da hab ich mich auf ihre Tasche gesetzt!« Ich sage es so laut, dass es auch auf dem letzten Platz zu hören ist. Wie eine strenge Mutter zucke ich die Schultern und sage: »Aber die gehört da ja auch nicht hin, die Tasche!« Ich lache wieder auf. Wenn man Streit sucht, ist man im Bus gut aufgehoben.

Und heute suche ich Streit. Ich bin auf dem Weg zu meiner alten Wohnung und ich habe eine solche Wut im Bauch, dass ich mich gern noch auf eine zweite Tasche gesetzt hätte. Leider muss ich jetzt umsteigen. Im 148er gehe ich extra aufs Oberdeck, wo man im hinteren Teil des Busses diese Sitzgruppe findet. Ich lasse mich zwischen zwei Männer plumpsen. »Hoppla« rufe ich, als ich dabei mit beiden zusammenstoße. »Ganz schön eng hier!« Ich setze mich so breitbeinig wie möglich. Das ist eine wirklich bequeme Sitzposition und ich verstehe, warum meine beiden Nachbarn so gesessen hatten. »Aber auch bequem!« Ein paar Leute aus dem vorderen Teil drehen sich verstohlen nach mir um.

Der 148er fährt zwar nach Zehlendorf, aber zwischen Schöneberg und Steglitz ist er noch ein »Willste-Ärger-kannste-haben-Bus«. Die beiden Halbwüchsigen mir gegenüber denken sichtlich darüber nach, ob ich ein gutes Opfer sein könnte. Ich grinse sie aufmunternd an.

»Was willste, alte Fotze!« sagt einer von ihnen. Steilvorlage!

»Was hast Du gesagt?« rufe ich und muss ein bisschen lachen, »Alte Fotze? Hast Du alte Fotze zu mir gesagt?« Auf dem Oberdeck sind jetzt alle erstarrt, nur der Bus röhrt und lässt sich nicht stören. Jetzt guckt sich niemand mehr um. Ich habe, glaube ich, noch nie laut Fotze gesagt, und ganz sicher noch nie so laut. Ich verstehe, warum die Jungs das gern sagen. Es fühlt sich total gut an. Nach Macht. Macht!

»Wisst ihr Jungs denn überhaupt, was das ist, eine Fotze? Nee, das glaube ich nicht! Eine Fotze sieht wirklich ganz anders aus als ich!« Ich grinse sie noch immer an und bin gespannt. Entweder sie kneifen jetzt oder sie hauen mir eine runter. Sie starren mich an, dann schubst der linke den rechten an. »Lass die Alte, ey«, sagt er. »Die is doch bescheuert, ey«. Ich habe den Eindruck, er senkt seine Stimme, damit ich mich nicht einmische. Na gut, ich muss das nicht. Ich werde meine Aggressionen schon noch dort los, wo sie herkommen.

Angestrengt denke ich darüber nach, wie ich mich an meinem geldgierigen, unverschämten Ex-Vermieter rächen könnte. Der die Kaution ungerechtfertigt einbehalten wird. Der keine Nachmieter akzeptiert hat. Der mich wochenlang mit einem Leck im Klo sitzen gelassen hat, und das ist nur ein wahlloses Beispiel.

Ich könnte die Türklingel abmontieren, das haben meine Vormieter damals auch gemacht und ich kann erst jetzt verstehen, wie sie auf diese Idee gekommen waren. Ich könnte alle Steckdosen abmontieren und die Löcher zugipsen. Ich könnte die Lampenkabel direkt unter der Decke abknipsen. Und danach vielleicht ebenfalls die Löcher zugipsen. Ich könnte auf den Hängeboden ein totes Tier legen. Von meinen Vormietern hatte ich damals ein Katzenskelett bekommen, auch das ergibt rückblickend mittlerweile einen Sinn. Das sind alles ausbaufähige Ideen, so dass ich schließlich recht beschwingt die alte Wohnung erreiche.

Die Wohnung ist so gut wie leer, übrig sind noch ein paar Tüten mit Müll, ein paar Bretter unklarer Herkunft und drei Stühle. Und meine kleine volle Biomülltonne. Mir fällt wieder ein, wie mir der Vermieter damals ein Kellerabteil verweigert hat. Zu diesen Wohnungen gehört kein Keller, hatte er gesagt. Aber die Vormieter hatten doch auch einen, wandte ich ein, und der Hausschlüssel passt auch zur Kellertür! Das kann nicht sein, wenn es keinen Keller gibt, wiederholte er, und dabei blieb es. Der Hausmeister ließ im Namen des Vermieters später die Sachen, die ich in den nichtexistenten Keller stellte, verschwinden. Gut, wenn es also keinen Keller gibt, denke ich. Die Nummer mit der Klingel und mit der toten Katze, die hatten meine Vormieter schon. Die Nummer mit den Steckdosen und Lampenanschlüssen, die lasse ich meinen künftigen Nachmietern, den armen Schweinen.

Ich halte mich an den Keller. Mit dem Hausschlüssel, den ich noch nicht abgegeben habe, komme ich noch immer in den Keller. Ich öffne das Kellerabteil, das meine Vormieter zugerümpelt haben. Vermutlich befindet sich hier drin auch die Türklingel, die sie damals abmontiert hatten. Ich schiebe eine schmale Schneise in das Gerümpel und versenke darin meine Biomülltonne. Sie rutscht ein Stück hinein und steckt dann fest.

Randvoll ist sie und als ich sie im Arm trug, spürte ich an der Wärme, dass es da drin ordentlich arbeitet. Mit einem kurzen Holzpflock verriegle ich das Kellerabteil und mit dem Haustürschlüssel den Keller.

Illustration: Josh Baumann

So ungefähr müssen sich die Kerle fühlen, die Computerviren verschicken. Sie werden das entstehende Chaos nie sehen, sind aber trotzdem von der sich ausbreitenden künftigen Zerstörung völlig beschwipst. Vermutlich wird in den nächsten Tagen und Wochen gar nichts passieren. Der Biomülleimer wird nur immer heißer und heißer. Schließlich aber wird das Ding dann durch die vielen entstandenen Gase explodieren. Die halbverwesten Apfelgehäuse werden durch den Keller robben und die schimmeligen Brotreste werden zahnlos lachen. Alles wird sich vermehren und größer und gefährlicher werden und wenn dann der böse Hausmeister des bösen Vermieters den Keller aufschließt, dann wird er von mutierten Kartoffelschalen angegriffen, sie werden ihn anspringen und erwürgen und das wird nur der Anfang sein.

Mich schaudert, als ich bei diesen Überlegungen angekommen bin. Was für ein Geniestreich. Fast bekomme ich Mitleid mit meinem Ex-Vermieter und seinem Hausgorilla. Mir geht es jetzt viel besser. Im 176er sind diesmal nicht alle Plätze besetzt. Als sich eine Frau neben mich setzt, stehe ich auf, damit sich auch ihre Tasche setzen kann. Die Tasche zumindest lächelt mich dafür an.