Konrad Endler: Blau

Peter hatte mehrere Monate lang Wermut aus der Schnabeltasse der Einsamkeit getrunken und war abhängig geworden.

Wenn er in den Park ging, um über Verlust, Krankheiten und den Tod nachzudenken, setzte er sich bevorzugt auf das blau gestrichene Bankgestell gegenüber der Trauerweide, die mit ihren beiden schulternhaft nach links und rechts fallenden Astbögen aussah wie der Rumpf eines Geköpften.

Auch traurige Tiere fanden sich in ihrer Nähe an. Wie das depressive Eichhörnchen, dessen Schwanz allzeit nach unten hing. Meistens saß es auf einem Ast, um die traurigen Menschen zu beobachten, die gegenüber auf den Bänken die Tage be- und überdauerten. Manchmal warf einer dieser Menschen mit egaler Handbewegung und tiefem Schweigen einen Krumen Kommissbrot von sich. Manchmal hörte das Eichhörnchen auch den Vögeln beim Singen zu, und überlegte, ob es sich einfach fallen lassen sollte. Die Vögel, die in der Trauerweide ihre Nester hatten, sangen in Moll. Ihre Lieder setzten sich aus lang gezogenen Schreien zusammen, sehnsuchtslos und voller Schmerz.

Zwischen der Trauerweide und dem Bankgestell, auf das sich Peter gesetzt hatte, befand sich ein Karpfenteich. Nicht von bunten Karpfen, Kois, wie in gepflegteren Teichen des Bezirks, bewohnt, sondern von gewöhnlichen, in der Regel träge dahintreibenden, grauen. Grauen Karpfen, von denen einige, wenn sie Glück hatten, zu Silvester blau sein würden.

Wenn Peter seinen Oberkörper vorbeugte, konnte er das Spiegelbild seiner Augen und der nach unten gezogenen Mundwinkel sehen. Das machte er oft, um sich von einem vorüberflatternden Schmetterling abzulenken oder einer Libelle. Ab und zu weinte er und sah den Tränen nach, wie sie Ringe über den Karpfenteich trieben. Gerade eben war, an der selben Stelle, wo sich auf der Wasseroberfläche das Spiegelbild seines Gesichts befand, ein Karpfen erschienen. Peter bemerkte den Unterschied nicht, denn auch der Karpfen war dem Trübsinn verfallen. Etwa eine Minute lang traf sich keiner ihrer Blicke, obwohl sie sich ansahen.

Sie würden sich zu Silvester wiedertreffen. Beide würden blau sein.