Robert Naumann: Wie wir die Faschistenschweine besiegt haben

Sonntagvormittag. Die erste Nacht im Ferienhaus war eine schlaflose, denn auf dem direkt ans Ferienhausgrundstück angrenzenden Weizenfeld hatte die uckermärkische Dorfbauernjugend des Nachts ein Mähdrescherwettrennen veranstaltet. Wir hatten am Fenster gesessen und in der absoluten Dunkelheit nur die Scheinwerfer der Maschinen in einer irrsinnigen Geschwindigkeit das Feld hinauf und hinunter rasen sehen. Bei dem unglaublichen Lärm war an Schlaf nicht zu denken und so vertrieben wir uns die Zeit damit, anhand des Motorengeräusches den Mähdreschertyp zu erraten. Während ich meine Ansicht kundtat, dass es sich nur um konventionelle Mähdrescher mit Tangentialdreschwerk und Hordenschüttler handeln konnte, erklärte meine Frau leicht verächtlich, dass ja wohl jede debile Großstadtgöre allein schon am Startergeräusch leicht erkennen könne, dass hier Axialmähdrescher mit axialem Dresch- und Abscheideorgan am Werk waren. Recht hatten schließlich doch die Kinder, denn als wir uns am nächsten Morgen per Augenschein von der tatsächlichen Bauart überzeugten, stellte sich heraus, dass es sich um zwei Tangential-Rotor-Mähdrescher mit axialen Abscheideelementen handelte. Unser Lieblingsmähdreschertyp und exakt jener, welchen Marie und Grete letzte Nacht herausgehört hatten.

Zum Frühstück zogen sie uns damit auf, dass wir daneben gelegen hatten und stellten überhaupt unsere Tauglichkeit, auch nur zwei Wochen unfallfrei auf dem Lande zu leben, ernsthaft in Frage. Ob wir wüssten, dass Kühe in Wirklichkeit gar nicht lila seien, fragten sie spöttisch und duckten sich reaktionsschnell vor meiner – von mir im Prinzip gut geworfenen – Schrippe, die nun allerdings ihr Ziel verfehlte und im linken Auge meiner Frau landete. Meine Frau, welche sich in aller Seelenruhe eben jenes dummerweise vorher mir gehörende Brötchen aus dem Auge klaubte, es aufschnitt und, glücklich über das unerwartete Zubrot, mit Käse belegt genüsslich verspeiste, nicht ohne ironisch bedauernde Blicke auf meinen nun leeren Teller zu werfen. Dies alles wurde von mir mit gespielter Heiterkeit hingenommen, denn es mangelte an geeigneten Wurfgeschossen, das Porzellan der Vermieter müssten wir bei Bruch wohl teuer bezahlen.

Nun ist das Frühstück vorbei, ich bin etwas hungrig zwar, aber meine Frau dafür umso gesättigter. Wir beschließen, dem gleich nebenan gelegenen Bauernhof einen Besuch abzustatten. Wir könnten die Schweine dort, so unser Vermieter, mit unseren Speiseresten füttern. Nur haben wir keine Speisereste, aber noch ein halbes, recht altes Brot, welches von mir trotz Hungers zum Frühstück verschmäht und darum zum Füttern freigegeben wird. Die kleinen und großen Schweinchen scheinen das Brot schon von weitem zu riechen, denn noch bevor wir sie sehen können, ertönt ein solch schauriges Gequieke und Gegrunze, dass die Kinder befürchten, ein paar der Schweinchen würden soeben zu Wurst verarbeitet. Aber die Sorge ist unbegründet, die Tiere haben wohl nur Hunger.

Als wir die ersten Brocken ins Schweinegatter schmeißen, stellt sich schnell heraus, dass diese Schweine eine Bande übelster Rassisten sind. Es handelt sich um das seltene ›Bunte Bentheimer Schwein‹, welches im Normalfall eine weiß-gräuliche oder beigefarbene Färbung mit schwarzen Flecken aufweist. Nun ist hier aber ein kleines Ferkel von durch und durch rostroter Farbe darunter, das in einem fort gestoßen und gerüffelt und gekniffen wird, dass es ein rechter Jammer ist, dabei zusehen zu müssen. Kaum wagt es zaghaft einen Schritt in Richtung eines Brotbrockens, schon stürzen Dutzende andere größere und kräftigere Tiere herbei, den kleinen Wicht dabei hin und her schubsend, so dass er resigniert sich still in eine Ecke legt und traurig den anderen beim Fressen zusieht. Ich kann es nachvollziehen, gerade eben ist es mir ähnlich ergangen.

Ganz klar, dass wir sofort Partei für den armen Kerl ergreifen, besonders Marie, die selbst einen feuerroten Haarschopf ihr Eigen nennt und schon darum Solidarität üben will. Wir werfen nun also gezielt unser Brot in Richtung des Roten, aber es hat keinen Zweck, selbst jene Schweine, welche gerade beim Fressen sind, lassen ihre Mahlzeit stehen und liegen, um dem Ferkel auch nicht das kleinste Krümelchen zu lassen.

Es gibt nur eins: Wir müssen die Faschistenschweine so lange füttern, bis sie so satt und träge und der Bewegung unfähig sind, dass endlich auch der kleine Hungerleider in Ruhe futtern darf. Man ernennt mich zum verantwortlichen Futterbesorger und ich renne zum Haus, in die Küche, um unsere Vorräte zu taxieren. Und dann lege ich los, ein Fünf-Kilo-Sack Kartoffeln wird geschält, die Kinder holen die Schalen ab, zwei Minuten später sind sie wieder da – alles verputzt. Die gekochten Kartoffeln halten immerhin fünf Minuten vor, dann müssen zwei Pakete Reis dran glauben, den ich scharf würze, in der Hoffnung, den Schweinen möge das Fressen darüber vergehen. Tatsächlich halten sie nach der Hälfte der Reisportion kurz inne, um ihren Durst an der Tränke zu stillen, aber kaum nehmen sie im Augenwinkel wahr, wie der kleine Rote nur nach dem Reis schielt, schon sind sie wieder da und fressen, fressen, fressen...

Am Abend sind unsere Vorräte fast alle und es scheint, als hätten wir das Ziel erreicht. Die Schweine wälzen sich in Zeitlupe träge auf dem Boden. Auch meine Frau und die Kinder haben ein ums andere Mal von dem von mir Gekochten genascht und sind gut gesättigt. Es sind nur zwei, die da noch Hunger leiden und nur noch eine Portion Spaghetti, ein Dilemma. Aber wie mich der kleine Rote anguckt, als ich die Schüssel mit den Nudeln vor ihn hin stelle, lässt mich gern auf meinen Anteil verzichten. Und wenn die anderen bösen dicken Schweine auch noch so viel gucken und so gern sie dem nun glücklich Schmatzenden auch diese magere Portion stibitzen wollen, so können sie doch nicht, zu vollgefressen sind sie, diese Gierschlunde.

Wir sind geschafft und fallen ins Bett. Es war ein anstrengender Tag und morgen wird es wohl nicht anders werden. Einer muss sich doch um den Roten kümmern. Und so schlafen wir schnell ein und wachen nicht einmal auf, als die Bauernsöhne mit ihren Tangential-Rotor-Mähdreschern wieder um die Wette fahren.