Bov Bjerg: Unistädte

Die mutternahen Heimschläferstädte

Städte, in denen die studieren, die den Aufwand scheuen, den Jugendzimmerschreibtisch ins Umzugsauto zu wuchten. Tübingen, Oldenburg, München – solche Orte. Orte, wo man schon am Bahnhof aus dem Lautsprecher gewarnt wird, »Willkommen in der Universitätsstadt Göttingen!«

Wie geht’s da zu? Ein Semester nach der Regelstudienzeit (»die Fahrerei!«) erwirbt man Magister oder Diplom, es folgt unverzüglich eheliche Bindung an einen Partner mit eigener Bleibe, bevor die alten Eltern anfangen können zu kränkeln.

Die lebensfernen Ghettos der Geistesgurus

Hier hat der Lern- und Lesetag 22 Stunden, anschließend Sport (Nachtrudern, Mondpolo, Eulenschießen). Spezialistenstädte, die ahnungsfroh vibrieren, wenn das wichtigste Event des Quartals bevorsteht - das neue Heft der »Zeitschrift für Bergrecht«! Städte mit dem Knarzeklang alter Nazi-Offiziere: Clausthal-Zellerfeld! Witten-Herdecke! Genauso zackig läuft das Studium: Nach drei Semestern Promotion, anschließend Habilitation. Momente der Umweltwahrnehmung sind selten. Gegengeschlechtliche Zweibeiner, die in solch einen Moment hineinplatzen, werden vom Fleck weg geheiratet. Bleiben diese Momente dauerhaft damenlos, erfolgt die sukzessive Verhagestolzung.

Stadtstädte

»Nein, Mama, das ist eine ganz spezielle Art der Germanistik (Stadtplanung / Sozialarbeit / Elektrotechnik). Das kann man nur in Berlin studieren. Ja, das find ich auch blöd, dass Berlin sechshundert Kilometer weg ist. Da kann ich nur selten nach Hause kommen, das ist schon schade. Ja, mir wär das auch lieber, wenn die Stadt nicht so groß wär. Vor der vielen Ablenkung graust es mich jetzt schon.«

Folgt gedehntes Studium, evtl. Zwischenprüfung. Von Mitte November bis Mitte Dezember Streik, anschließend Weihnachten. Mäandernde Praktika in Webdesign (kopieren), Kulturmanagement (kopieren) und Werbeagentur (kopieren). Anschließend feste Anstellung in Copy-Shop. 

Gefahren der Stadtstädte: Promiskuität und Alkohol, zusammengefasst auch gerne als »das Leben« bezeichnet.

Eine Kaschemme, irgendwo an der U7. Der junge Mann stiert haarezausend in sein grünflaschiges Studierendenbier. Dieser Studierende, könnte man sagen, ist kurz davor, zum Trinkenden zu werden. Er ist neu in der Stadt. Er hat sich völlig vermietet. Vermietet wie in: verfahren, verlaufen, verirrt. 

Er grummelt: »Der hat gesagt, dass Spandau gleich bei Friedrichshain liegt. Woher soll ich denn wissen, dass der lügt?«

»Mal in den Stadtplan schauen?«

»Stadtplan? Stadtplan ist was für Newbies!«

»Du bist ein Newbie.«

»Ey, ich bin jetzt seit drei Wochen hier. Nach drei Wochen ist man kein Newbie mehr. Naja. Wenigstens wohn ich jetzt in der Hauptstadt. Schon cool.«

»Hauptstadt? Du wohnst in Spandau! Und du hast einen Mietvertrag für drei Jahre unterschrieben! Du hättest genauso gut nach Clausthal-Zellerfeld ziehen können.«

»Claus-thaaaaal! Zel-ler-feld?«

»Heul nicht. Guck, wenn du in Spandau wohnen bleibst, und vieles spricht dafür, dann bist du mit dem Studium viel früher fertig. Das ist doch auch was.«

Aber Dank, nein, Dank darf man für solche warmen Worte nicht erwarten.