Jochen Weeber: Hinterm Fliederbusch

Es ist Mai, auf Klappstühlen im Garten ist man ausgelassen: Die Grillsaison ist eröffnet. Der Vater hat vormittags noch rasch etwas Wild erlegt, mit ’nem Zehner an der Truhe: ein geübter Griff. Hinterm Fliederbusch hängen die Nachbarn interessierte Blicke aus den Fenstern, und von oben drüber da hört sich Musik an wie Fabrikenlärm. Auf der Schaukel der Jüngste, der Mittlere klemmt hilflos in der Rutsche und der Älteste darf zwei Paar Rote einritzen. Fachmännisch die Anleitung des Vaters, Ingenieur, mit Lineal werden in sauberen Drei-Zentimeter-Abständen zunächst Markierungen angebracht, während die Mutter ein Hühnchen rupft mit der Schwägerin. Das Huhn ist vom Vorjahr, und gefüllt mit reichlich Emotionalem. Alle sind beschäftigt.

»Grillnachmittage in Neubaugebieten, das sind Gemeinschaftsprojekte, die einen positiven Einfluss ausüben auf die sich im Zerfall befindlichen familiären Strukturen«, hat sich der Ingenieur kürzlich beim Kegelabend von einem befreundeten Lehrerehepaar hinter die Ohren schreiben lassen. Das Hühnchen zwischen Frau und Schwägerin könnte einen entspannten Grillnachmittag vertragen und auch das Verhältnis der Söhne zu ihrem Ingenieur. Dieser vertraut folglich in bester Absicht dem Gymnasiasten, 14, sein 13-teiliges Schweizer Survivalmesser an und auch die vier Schweinswürstel. Dem Hauptschüler wird langweilig in der Rutsche, wo er noch rund fünfeinhalb Minuten auf seine Befreiung warten muss. Wenn er sich weiter so ungeschickt anstellt, wird er auch im nächsten Jahr nicht die Würste einritzen dürfen. »Mensch Peter!«, raunzt der Vater.

Der Himmel wird leicht bewölkt. Der schaukelnde Grundschüler kichert und reißt sich beim finalen Absprung sein DFB-Trikot auf. Was ein Riss. Den Adler sauber halbiert. Der Ingenieur zieht dem Knaben ordentlich die Ohren lang, so um die drei Zentimeter auf jeder Seite, das kriegt er auch ohne Lineal hin. Ballack flitzt heulend hinter Mutters Rock und die Schwägerin bekommt in wenigen Augenblicken ordentlich eine gescheuert für ihr hämisches Grinsen. In dieser Wildnis gibt es falsche Schlangen. Legen selbst keine Eier, aber wissen alles besser.

Hinterm Fliederbusch wird mittlerweile applaudiert. Der Vater bekommt plötzlich so ein Stechen im Herz und legt sich rasch etwas hin, mitten im Garten, mit dem Allerwertesten in das frische Häufchen von Mayers Mieze. Der Gymnasiast, 14, handelt geistesgegenwärtig, legt Würstel und Messer weg und greift in seine Tasche mit geübtem Griff. »Wo ist das Handy, wer hat das Handy?« Ballack zeigt Richtung Rutsche. Der Hauptschüler spürt so ’nen Druck hinten links, das muss das Handy sein. Der Jüngste und der Schlauste eilen zur Rutsche. Ballack schiebt, der Schlitzer zieht. Die Mutter, derweil kniend vor ihrem Gatten, kann sich nicht recht entscheiden, ob Mund-zu-Mund-Beatmung oder Herzmassage, und entscheidet sich für das, was ihren Mann sonst immer so geil macht. Doch der springt heute nicht so recht darauf an.

Die Zeit rennt davon, wo bleibt die Ambulanz, »Mensch, wie lang brauchen denn die?« Die Schwägerin macht sich nützlich und kümmert sich derweil ums Fleisch, sogar das Hühnchen lässt sie erst mal links liegen. Hinterm Fliederbusch sitzt man mittlerweile dicht gedrängt.

Knapp acht Minuten vergehen, dann ist es soweit. Die Sanis laufen ein und auch das Fleisch ist fertig. Rauf auf die Bahre, und ab ins Spital. Die Familie fährt hinterher. Bloß die Schwägerin bleibt da und hält die Stellung. Großzügig wird das Gegrillte mit den Nachbarn geteilt, die natürlich hungrig sind nach dem atemberaubenden Spektakel.