Spider: Mein Kind ist vierzehn

Mein Kind ist vierzehn. Vierzehn Tage alt. Wenn es eine Zeitung wäre, würde jetzt das Probeabonnement ablaufen. Ich könnte mir überlegen, ob ich es behalten will, und wenn ja, dann bekäme ich eine Armbanduhr geschenkt. Eine Armbanduhr oder ein Edelstahlkochtopfset oder einen Radiowecker. So ein Säugling ist ja auch eine Art Wecker. Man kann ihn bloß nicht einstellen. Außerdem kann man ihn nicht ausstellen. Ich weiß gar nicht, wo da die Vorteile sein sollen. Auf was habe ich mich da bloß eingelassen? Und warum eigentlich? Ich habe eigentlich gar keinen Grund, früh aufzustehen. Ich bin Schriftsteller, nicht Bäcker. So langsam verstehe ich, warum die Männer früher die Windeljahre ihrer Kinder in der Kriegsgefangenschaft abgewartet haben.

Wenn das Baby klingelt, ich meine wenn der Wecker schreit, dann ist es Zeit für die zwei Mutterbrüste. An der einen saugt der Säugling, aus der anderen spritzt die Milch. Es sind unglaubliche Mengen, und sie ist sehr schmackhaft. Sie versüßt mir den Kaffee, sie ernährt unser Kind und meine Freundin. Meine Freundin bildet dadurch, dass sie neuerdings ihre eigene Milch trinkt, ein in sich geschlossenes, sich selbst erhaltendes System. Wenn das Kind aus dem Gröbsten raus ist, will sich meine Freundin bei der Nasa bewerben, wegen Marsmission und so.

Für uns ist das noch Utopie, ein Flug zum Mars, aber für meinen Sohn wird das einmal Alltag sein. Ich werde dann für ihn ein Relikt darstellen. Ein alter Knochen, der noch in der Zeit vor dem Internet aufgewachsen ist. Als ich klein war, gab es noch keine Computer, oder höchstens bei der Nasa. Es gab auch keine Handys. Die Menschen schrieben sich Ansichtskarten und keine SMS. Es gab noch keine Faxgeräte und keine Geldautomaten. So was wie ein Babyfon war unvorstellbar. Fotografiert wurde auch noch mit richtigen chemischen Filmen. Die konnte man sogar noch bis Ende des vorigen Jahrtausends überall über Nacht entwickeln lassen. Heute ist das undenkbar. In meiner Jugend wurde Musik auf Schallplatten analog gespeichert und nicht in irgendwelchen Mp3-Dateien. Ja, es gab noch nicht einmal CDs, dafür aber Magnetbandkassetten. Ich muss meinem Sohn vorkommen wie eine dieser steinzeitlichen Moorleichen oder wie so ein Gletscherfrosti. Ein Zeuge aus einer fernen Zeit. Interessant irgendwie, aber auch ein bisschen gruselig, und verströmt einen etwas unangenehmem Geruch. Ein Wesen aus einer Zeit, als Fahrräder noch keine achtundzwanzig Gänge und dafür Gepäckträger hatten. Ich habe noch den Aufstieg der Quarzuhr mit Digitalanzeige miterlebt und den der Infrarotfernbedienung. Ich habe die Pampe geschluckt, die in den ersten Mikrowellengeräten erhitzt wurde; und ich habe noch mit meinen eigenen Augen längst vergessene Sachen gesehen, Pager zum Beispiel oder Tamagotchis.

Papa erzähl von der guten alten Zeit! Und ich werde erzählen. Das ist ja mein Beruf. Ich bin Schriftsteller, nicht etwa Bäcker. Ich hätte deshalb übrigens auch gar keinen Grund, früh aufzustehen. Aber das kümmert so einen Säugling ja nicht. Na, der soll mal abwarten, wenn er erst in das Alter kommt, wo er gerne mal ausschläft. Dann zahle ich ihm alles heim. Ich hoffe bloß, es gibt dann, wenn es soweit ist, in der Zukunft, keine Seniorenklappen. Aber das würde mein Sohn doch nie übers Herz bringen, oder?