Theo Fuchs: Industrielles Röntgen

Der einzige, der keine Angst vor unserer Röntgenröhre hatte war der Fabrikleiter. Er war klein und dick – besser gesagt: sehr klein und sehr dick. Wenn er hinter mir stand, konnte er mir gerade eben über die Kimme schauen, mehr nicht. Wir nannten ihn ›Albert the Dwarf‹. Vielleicht dachte er, dass sich alle Gefahren sowieso immer im Luftraum hoch über seinem Kopf abspielten, so dass ihm nie etwas passieren könnte, auch nicht durch Strahlung, aber wer weiß?

Jedenfalls, bis auf ihn hatten alle anderen Angst vor dem monströsen Gerät, dass wir für unsere Messungen in ihrer Halle aufgestellt hatten. Sie versuchten ihre Furcht zu überspielen, indem sie wie zwanghaft witzelten. Natürlich nur zotig. Ein großer Lacherfolg war immer die Behauptung, dass wir uns in der Durchstrahlungskabine alle verbrutzelten, und irgendwelche Anspielungen auf ein berühmtes Grillhähnchen, das ich nicht kannte. Dabei waren das alles gestandene Männer mit schmutzigen Blaumännern, Schnauzbärten dick wie Dachrinnen und Händen, mit denen einer ein 10-Meter-Rohr halten und mit der anderen eine Flex daranpressen konnte, so dass ein Geräusch entsteht, wie man es eigentlich sonst nur hören kann, wenn man im dunklen Bad stolpert und mit dem Kopf an den Badewannenrand schlägt.

Ihre Hauptsorge bestand darin, dass ihnen durch eine versehentlich empfangene Strahlendosis am nächsten Tag ›die Nudel‹ abfallen würde. Diese Vorstellung war allen gemeinsam und dauernd präsent, so als ob sie es abgesprochen hätten. Sie hielten sich fern, wann immer es ging, selbst wenn ich rittlings auf der abgeschalteten Röhre saß und mein Pausenbrot aß. Nur Albert the Dwarf fürchtete nicht um seine ›Nudel‹, vermutlich, weil die nur knapp über dem Boden hing, und dort herrschen ja bekanntlich keine Gefahren für Leib und Leben. Vielleicht empfand auch nur ich dieses Gewitzel als nervig, denn sogar ein Kollege von mir, der sonst sehr distinguiert und sanftmütig ist, lachte mit ihnen mit und tat so, als ob er sich großartig amüsiere. Er sagte sogar: »Mir kann da nix passieren, meine Nudel ist schon vor Jahren abgefallen.«

Illustration: F.W. Bernstein

Einer war besonders schnauzbärtig und laut – offenbar, weil er die meiste Angst hatte. Er hatte den ganzen Vormittag hinter mir herumgestanden und eine Anekdote nach der anderen vom Stapel gelassen, die immer damit begann, dass einer der Roboter eine Vollbremsung macht, woraufhin ein riesiges und tonnenschweres Metallteil durch die Werkshalle fliegt und irgendetwas zertrümmert, während er selbst daneben steht und ungerührt zusieht. Er ging mir langsam aber sicher gewaltig auf den Keks.

Gegen Mittag konnten wir eins ihrer bleiernen Röhrengehäuse nicht in den zu engen Einschub quetschen, aber im industriellen Röntgen ist man ja nicht zimperlich. Ich schnappte mir eine prähistorische Metallsäge und stutzte die Röntgenquelle mit brutaler Gewalt auf das gewünschte Maß zurecht. Die Gunst der Stunde nutzend, sagte ich vorher zu dem Rotzbremsen-Mann: »Wir müssen jetzt sehr vorsichtig vorgehen, weil es sonst eine grauenhafte Kettenreaktion gibt.« Da hatte er plötzlich in einer anderen Halle etwas zu erledigen und war weg.