Hinark Husen: Im Job-Center Sickingenstraßen

Armutsverwaltung will durchorganisiert sein, denn schließlich gibt es viel Armut, darum braucht es auch viel Verwaltung. Im relativ neuen Job-Center in der Sickingenstraße in Tiergarten, früher ein AEG-Standort, geht es ein bisschen zu wie bei der Easy-Jet- Abfertigung im Flughafen Schönefeld. Absperrbänder sorgen dafür, dass die Vorhalle vor den zehn Empfangsplätzen optimal genutzt wird, ohne dass man sich auf die Füße tritt. Security-Personal winkt Antragsteller fluglotsenmäßig ein.

Im Zickzackkurs geht es Schritt für Schritt voran, bis man den ›first contact‹ mit dem Empfang hergestellt hat. Überall weiß getünchte Wände ohne jeglichen Schnickschnack, keine Bilder, keine Info-Poster, gar nichts. Nur in einem Nebenflur ist ein einsamer Geldautomat zu sehen. Tatsächlich: ein stinknormaler Geldautomat, von der Sorte, wie sie bei jeder Sparkasse herumstehen. Das muss ein trauriger Geldautomat sein, denn wem der hier Anwesenden könnte er denn tatsächlich von Nutzen sein? Ob ich schnell noch mal die letzten Hunnies abheben, bevor es an’s Eingemachte geht? Oder ein perfider Versuch, das Klientel ein letztes Mal zu prüfen? Und dann verschwindet jeder, der zu dicht an den Automaten tritt durch eine Falltür und wird automatisch als Sozialschmarotzer-Rohrpost nach Moabit verschickt. Ist ja schließlich gleich um die Ecke. Nein, er bleibt ein nutz- und somit auch arbeitsloser Geldautomat, man möchte ihm direkt anbieten, sich vor einen in die Schlange zu stellen, aber keiner hat so direkt Lust, das Teil vor sich her zu schieben. Das gäbe vielleicht auch Schwierigkeiten beim Empfang. »Nein, sie verstehen mich falsch, das ist nicht mein Geldautomat, ich hab ihn nur gleich mitgeschoben, weil er da so arbeitslos herumstand…«, und – schwuppdiwupp – wieder öffnet sich die Falltür nach Moabit.

Hat man den Geldautomaten ignoriert und die erste Hürde des Empfangs überwunden, wird man in den Wartesaal gebeten, in dem namentlich aufgerufen wird. Ja, namentlich, man gibt sich persönlich, was soll dieser anonyme Scheiß mit den Nummern. Zwei bis drei Mal rufen die in den Raum geeilten Sachberarbeiter selbst die schwierigsten Konsonantenfolgen in den Raum: »Herr Zvedrwitzky«, und noch einmal, »Herr Zvedrwitzky bitte«, kaum eine Minute später gefolgt von »Frau Owumbaralesie« oder Frau – na, das ist doch mal einfach: »Hoppe-Kleinschmidt«.

Welchem System diese Aufrufe zugrunde liegen, ist nicht auszumachen und den Anwesenden auch egal. Man schaut Frau Owumbaralesie nur kurz hinterher und weiter geht’s mit Warten. Dann doch eine Abwechslung. Eine kleine, sehr blonde und sehr junge Sachbearbeiterin tritt auf und verlangt lautstark nach: »Herrn Freiherr von Wiesstetten!«

Freiherr von Wiesstetten braucht kein zweites Mal aufgerufen zu werden. Zwar meldet er sich nicht, wie viele andere , mit einem zackigen ›hier‹ oder ›ja‹, aber kaum dass er vom Stuhl hoch ist, fokussiert sich das Interesse der anwesenden Menschen mit hinreichenden Deutschkenntnissen auf den jungen Mann, der nun mit hochrotem Kopf durch den Saal schleicht: Ende zwanzig, Drei-Tage-Bart und leicht punkiges Outfit. Vom Typ her würde man den eher im Kreuzberger Job-Center vermuten. Mir fällt unweigerlich der Graf von Droste-Schattenburg ein, der in Billy-Wilders Komödie Eins, zwei, drei als Toilettenmann im Kempinski arbeitet. Und weil wahrscheinlich der jungen Sachberarbeiterin auch nicht alle Tage ein verarmter deutscher Jungadliger unter die Fittiche kommt, überfiel sie wohl so ein gewisses Mitteilungsbedürfnis. Ansonsten hätte sie ja ohne Probleme auf den Titel verzichten können. Ich warte auf hinterher gerufene Sprüche wie: »Verkauf doch erst mal deine Burg« oder: »Deine Heizkosten werden dir bestimmt nicht erstattet«, aber nichts dergleichen folgt, nur ein leichtes Murmeln, und in den Gesichtern einiger ist ein Schmunzeln zu entdecken, dass man hier sonst nicht antrifft. Jeder kann sich seine Bunte- oder Gala-Geschichte dazu kreieren. Und so erfüllt der Adel ja gerade heute seine gesellschaftliche Funktion: Er bringt uns zum Lachen, sei es durch Debilität oder Arbeitslosigkeit.