Ahne: Heraus zum 2. Mai

Wir hatten sowas noch nie gemacht. Also dabei waren wir schon. Als der BFC noch naturgesetzmäßig Meister wurde waren wir dabei. Saßen herum, auf den Schultern unserer Eltern. Spider auf denen seines Vaters, der Kosmonaut war, ich auf denen meiner Mutter, da sich mein Vater, der auch Kosmonaut war, eine andere Mutter gesucht hatte. Enthusiastisch winkten wir dem Zentralkomitee zu, wir wussten ja damals noch nichts von dem ganzen Schlimmen. Davon wusste ja kaum einer was, erst recht nicht wir. Ich war ja gerade erst mal 14 und Spider gerade erst mal… auch. Er ist ja dann erst später jünger geworden. Zurückgeblieben kann man sagen. Ich habe ihn altersmäßig abgehängt. Als wir dann endlich wirklich etwas wussten, waren wir auch wieder dabei, im Herbst ’89, wieder auf den Schultern unserer Eltern. Meiner Mutter tut heute noch der Rücken weh. »Wir sind das Volk« riefen wir, und die anderen machten es uns nach, riefen dasselbe, immer dasselbe. In Berlin jedenfalls. Beim Stille Post spielen bis nach Sachsen kam natürlich etwas anderes bei raus. »Wir sind ein Volk« riefen die plötzlich, einige hatten sogar verstanden »Wir sind ein Volk, ein Reich, ein Führer«. Die waren aber total doof. Dis is ja wohl ein viel längerer Satz.

Noch später, im Westen, lernten wir dann, dass es nicht genügt, mitzulaufen, zu winken und zu rufen, nein, man muss auch Ketten bilden, Kapuze aufsetzen, auch bei Hitze, und man muss natürlich den Lautsprecherwagen schützen. Auf dem Weg in die Anarchie hieß es viele Gesetze und Gebote zu beachten. Kein Alkohol, nicht durch den Frauenblock laufen. Jede Minute konnten die Volksmassen unter Führung des vermummten Lautsprecherwagens die Herrschenden vom Thron stürzen und dann, dann… ?

Wir sind ja die Liga für Kampf und Freizeit und als solche verpflichtet, die Welt besser zu machen. Also gebaren wir eines verregneten Nachmittags die Idee des Internationalen Kampf- und Feiertages der Arbeitslosen aus unseren unterforderten Gebärmuttern. Zum Termin wurde der 2. Mai erkoren, weil der 1. Mai schon vergeben war und am 24. Dezember meine Großmutter Geburtstag hat. Das historische Jahr hörte auf den Namen 2005. Zum ersten Mal sollten Menschen in aller Welt demonstrieren für ein Leben ohne Not und gegen den Zwang zur Lohnarbeit. Spontane Zusagen erreichten uns aus Lyon, Zürich, Dresden, Kiel, Luzern, Nancy und Rio de Janeiro, obwohl es mich doch etwas wunderte, dass die Karte aus Rio in Deutschland abgestempelt wurde, naja.

Illustration: F.W. Bernstein

Spider und ich erhielten den Auftrag, die Demo in Berlin anzumelden. Vom Senefelder Platz bis zu den Schön-Schöner-Schönhauser Allee Arcaden und zurück. Spider hatte geträumt, dass man politische Aufzüge bei jeder Polizeiwache Berlins anmelden könne, und so trafen wir uns eines schönen Morgens um 13 Uhr bei Konopke. Von dort bis zum Revier in der Eberswalder Straße war der Weg kaum zwei Currywürste lang.

Eine Uniformierte empfing uns begeistert: »Demonstration, dafür sind wir hier nicht zuständig, das machen wir hier nicht, da müssen sie zum Platz der Luftbrücke, zur Zentrale.« Wir standen da wie erstarrt. So eine Mistpocke! Sollte das das Ende sein?! Platz der Luftbrücke, den gab’s doch bestimmt gar nicht, dis war doch garantiert so was Ähnliches wie Wolkenkuckucksheim, Siehstenich, oder Absurdistan. Die hatte doch nur keine Lust zu arbeiten, die Zicke! Aber warum stand sie dann nicht auf unserer Seite? Zum Glück guckte plötzlich aus der Tür noch ein anderer Uniformkopf heraus, der ihre Aussage dezidiert abschwächte. »Demonstration? Wo? Hier? Na dann kommt ma mit.« Keine 5 Minuten später waren wir beide Verantwortliche im Sinne des Pressegesetzes (V.i.S.d.P.), und ungeheuer stolz. So ging also Demokratie, aha, jetzt hatten wir sie endlich verstanden!

Die Polizei wollte tatsächlich für uns die Schönhauser Allee sperren, allerdings nur, wenn wir, wie angegeben, wirklich 50 Teilnehmer wären. Auch die Benutzung von Megaphon und Diskorollstuhl waren an diese Menge geknüpft. Es hieß also, die Massen zu mobilisieren. Wir besaßen ja Verbindungen zu Presse, Funk und Fernsehen aber wollten wir die in Anspruch nehmen? Nö! Wir setzten voll auf die Mund-zu-Mund-Propaganda. Tube mischte sich unter Raucher und Robert Weber half bei Umzügen mit. So wusste bald das ganze Volk von dem großen Ereignis.

Am 2. Mai gegen 13 Uhr versammelten sich dann dementsprechend auch mehr als 20 Personen am Senefelder Platz. Die Polizei, die uns zur Seite stand, verdoppelte die Teilnehmerzahl noch mal mindestens auf das Doppelte. Um Viertel Zwei waren wir also fast 49 Anwesende. Trotzdem bestanden die Beamten auf dem kleinkarierten Papierquatsch. Wir sollten auf dem Bürgersteig laufen, dafür dürften wir dann aber Megaphon und Diskorollstuhl benutzen. Ein Kompromissvorschlag. Unsere Antwort darauf hieß: Okay! Wir waren auf Gewalt einfach schlecht vorbereitet, außerdem müssen die Parolen auf unseren Transparenten besser koordiniert werden. Das Wort ›arbeitslos‹ oder ›Arbeitsloser‹ hatte zum Beispiel absolut niemand verwendet, während ›Rettet die Schneehasen‹ oder ›Gitarren statt Knarren‹ am Thema vorbeischrammten. Haarscharf zwar nur, trotzdem. Allerdings ging es uns ja auch um die Bündnisfähigkeit. So gesehen war die Demonstration äußerst erfolgreich.

Unser Aufzug wuchs zeitweise auf gefühlte 5000 Menschen an. Die Polizei spricht von 40, einigen wir uns also einfach mal um des lieben Friedens willen auf 2400. Ein Riesenerfolg damit. Schon bald wird man unsere Forderungen nicht mehr ignorieren können, ›Nie wieder sinnlose Produkte‹, ›Rationalisierung jetzt!‹, ›Kein Schweiß für Geld‹. Von Tokio bis nach San Francisco wird der 2. Mai ein Feiertag werden, so viel steht wohl schon jetzt fest. Doch richtig zufrieden werden wir natürlich erst sein, wenn alle 365 Tage im Jahr Feiertage geworden sind. Is so!