Bov Bjerg: Bewiesen - Welt verrückt, Flash böse

Juni 2005, was bisher geschah:

1.
Ein Bayer ist Papst geworden, also wir.

2.
Eine Holocaustdenkmalfrau hat gesagt, sie möchte im Holcaustdenkmal einen Backenzahn einbauen.

3.
Moslems in Afghanistan haben sich und andere tot gemacht, weil ein US-Soldat eine Druckschrift namens Koran ins Klo geworfen haben soll.

Soweit, was bisher geschah. Das hatte ja alles im Internet gestanden.

Die Welt war also endlich und komplett verrückt geworden. Ganz so, wie ich es seit vielen Jahren prophezeiht hatte. Meine Befriedigung darüber, doch noch Recht bekommen zu haben, war groß. Nun wollte ich aus dem Haus gehen um herauszufinden, wie sich da draußen ›der neue Trend zum Wahnsinn‹ (Spiegel Online) bzw. ›Millionen Menschen balla balla‹ (bild.de) darstellte (Spiegel Online) bzw. darstellten (bild.de).

Ich hatte den Wohnungstürknubbel schon in der Hand, da fiel mir ein: Ich musste ja, bevor ich aus dem Haus ging, unbedingt ›noch einmal schnell‹ ins Internet schauen.

Nachrichten, Wetter, hier ein Klick, da ein Klick, und plötzlich war da eine Seite, komplett und ausschließlich in Flash programmiert, auf der war ein Button, auf dem stand ›delete‹, und neben dem Button stand in so einer kursiven, vollverzierten Schreib- oder Mädchenschrift, Times New Jessica oder was, da stand jedenfalls: ›Bitte nur klicken, wenn Sie das Internet wirklich löschen wollen!‹

Seit langem war ich der Ansicht, dass Flash-Seiten einfach nicht gut waren für das Internet. Endlich hatte ich Gelegenheit, meine These zu verifizieren. Ich klickte auf ›delete‹.

Die Seite verschwand. Ich ging auf die Seite vom Mittwochsfazit, die verschwand, ich ging auf meine eigene Seite, die verschwand. Ich ging auf die Seite der Tagesschau, ganz oben auf der Seite, in einem knallroten Kasten stand: ›Eilmeldung! Bov löscht Internet! Anleger flüchten in Holzspielzeug und Fünfeinviertel-Zoll-Disketten!‹ Ich sah noch, wie die Seite kleiner wurde und in einem kleinen schwarzen Loch verschwand, dann verschwand das Loch in sich selbst.

Ich checkte meine Mails, die Fehlermeldung: ›The Internet is gone. No Mail never ever again.‹

Die Befriedigung darüber, mit meiner kritischen Einschätzung von Flash-Seiten erwiesenermaßen Recht gehabt zu haben, war groß. Doppelt befriedigt, egomäßig gleichsam durchgenudelt bis zum Get-no (1. Welt endlich verrückt, 2. Flash-Seiten unbestreitbar böse), trat ich auf die Straße, um im dreidimensionalen Kontakt mit der Außenwelt die Manifestationen des Irrsinns so gründlich wie möglich und so vorsichtig wie nötig wahrzunehmen, sie mit profunden analytischen Begriffen zu belegen und daraufhin die ganze frisch benannte Chose im Rahmen meiner Möglichkeiten sukzessive zu zerwitzeln.

Doch wohin sollte ich mich wenden mit meinen Scherzen? Nach Mitte konnte ich nicht gehen. Lachen war die beste Medizin, doch die Menschen in Mitte waren dazu bestimmt, einen langsamen, grausamen Tod zu sterben, und ich wäre der letzte gewesen, der sie daran hätte hindern wollen.

Also Lichtenberg. Dort gab es gleich beim Bahnhof eine Straße, die mich eventuell vor allzu schlichten Pointen bewahren konnte: die Metastraße (wir berichteten in Salbader. 35).

Aber erst musste ich über die Hauptstraße vor meiner Haustür. Die Straße hatte sich verändert. Auf zehn Fahrspuren strampelten Fahrradkuriere hin und her. Erst war es gar nicht so leicht, über die Straße zu kommen. Dann setzte ich einfach einen Fuß auf die Fahrbahn und ging rüber. Ich schaute zurück. Der neue Fußgängerüberweg war jetzt gut geschützt durch hohe Wälle links und rechts, Wälle aus verbogenen Fahrrädern und verhedderten Fahrradkurieren und Mordskrawall. Fahrradkuriergebrüll.

Der eine rief, ganz sachlich: »message cannot be delivered«.

Der andere, erstaunt: »receiver not found«.

Der dritte voll am Heulen: »failed to deliver«.

Einer war an seinem Scheitern gaga geworden, er skandierte kryptisch: »Message has exceeded maximum hop count!«

Schließlich, alle im Chor: »Mail System Error! Mail System Error!«

Illustration: F.W. Bernstein

Dann war ich in Lichtenberg. Glatzenhauptstadt Lichtenberg. Überall hingen große Plakate: ›Die Post AG stellt ein! 5000 Zusteller gesucht! Frisur egal!‹

Auf dem Gehweg rannte ein alter Mann, hinter sich einen Bollerwagen voller großer Pakete. Ein Paket fiel herunter, platzte auf. Spulen mit Magnetbändern rollten über die Straße. Auf dem Bollerwagen stand: ›DSL Breitband Highspeed supergünstig.‹

Vor der Metastraße blieb ich stehen. Und los ging’s.

1.
Jetzt war also ein Deutscher Papst. Gut, ich war zwar mal Ministrant gewesen, aber dieser Ratzinger war mir wirklich immer am Arsch vorbei gegangen. Und das, haha, konnten nicht alle ehemaligen Ministranten von sich behaupten. –

Ein kurzer Blick in die Metastraße. Ein Glatzkopf kam heraus, sagte: »Der is jut, hehe«, und ich fühlte mich schlecht.

2.
Am Holocaustmahnmal standen jetzt diese Betonklötze. Nicht alle Mädchen hatten so einen großen Setzkasten wie Lea Rosh. Leider hatte ich mich damals mit meinem Gestaltungsvorschlag nicht durchsetzen können: »Ein großes Taschentuch, 500 auf 500 Meter, und das Technische Hilfswerk macht einen Knoten rein. Versteht jeder und sieht hübsch aus.« Und den Backenzahn hätte man da auch gut reinknoten können.

Aus der Metastraße kam wieder ein Glatzkopf, sagte: »Dit stümpt«, und ich fühlte mich wieder schlecht.

Vor einem Elektroladen (›Radio- und Fernseh-Fascho‹) standen Leute. Im Schaufenster Condoleeza Rice. Sie gab eine Pressekonferenz zur…

3.
…Koran-im-Klo-Problematik. Sie sagte, das könne nicht sein, das mit dem Klo. Es gebe keine Toiletten, bei denen die Rohre so groß seien, dass ein ganzer Koran durchpasse. Die Moslems möchten sich doch bitte wieder einkriegen, alles werde gut und u. U. sei sogar, was sie ggf. durchaus gerne konzediere, Allah mächtig.

Dann Rumsfeld. Ein Journalist fragte, ob (unverständlich). Rumsfeld sagte, jawollja, natürlich. Er selbst zum Beispiel habe eine Toilette, die sei so groß, dass nicht nur der Koran durch das Rohr passe, ach was, eine ganze Koran-Gesamtausgabe, fünf Bände, in Schweinsleder gebunden, passe durch das Rohr, selbst die auf Pressspanplatten gezogenenen lebensgroßen Portraits des Propheten Mohammed und seiner ganzen sodomitischen Sippschaft passten durch das Klorohr, das habe er doch selbst erst gestern wieder einmal auspro-, und dann war der Ton weg.

Ich schaute in die Metastraße. Still und verlassen. Ganz von hinten kam sehr langsam ein Mann herangeschlendert, völlig in Schwarz gekleidet.

Ich hatte alles erledigt. Das Internet war gelöscht, Arbeitsplätze geschaffen, der Irrsinn zu Teilen leidlich zerwitzelt.

Aus der Metastraße kam der schwarze Mann. Schwarzer Rollkragenpulli, schwarze Rechteckbrille, schwarz gefärbte Haare. Sehr ernster Blick. Jazzer wahrscheinlich. Er sagte: »Fehlt ’n Schlusswitz, hm?«