Sarah Schmidt: Faschismusverdacht

Warum ich immer wieder in den Verdacht komme, Faschistin zu sein?

Schuld daran ist, wie ja an allem, was einem so an miesen Geschichten im Leben zustösst, meine Mutter. Ich meine, sie hätte doch einfach einen Tag warten können. Sie lag, wie es damals nach Geburten üblich war, im Krankenhaus in einem Saal mit zehn anderen Wöchnerinnen zusammen. Nachdem sie ein kurzes Schläfchen gemacht hatte, das sie sich nach meiner Geburt auch bitter verdient hatte, wachte sie auf und empfing für sie völlig überraschende Glückwünsche der anderen frischgebackenen Mütter. Überraschend nicht etwa weil ich ein hässliches Baby war, nein im Gegenteil, die anderen Frauen waren neidisch, denn ich war das einzige Kind, dass an diesem Tag im katholischen Krankenhaus geboren wurde. Die anderen Frauen waren zu früh oder zu spät dran, so dass die Ehre ganz allein meiner verdutzten Mutter zukam. »Frau Schmidt, das haben sie aber prima hinbekommen. So ein blondes, blauäugiges Mädchen und das auch ausgerechnet an Führers Geburtstag.« Meine Mutter war von den vorausgegangen Schmerzen benebelt, so dass sie nicht gleich verstand. »Was für ein Führer«, fragte sie. »Na unser Adolf. Der hätte doch heute auch Geburtstag, genauso wie ihre kleine Tochter. Und dann ist es noch ihr viertes Kind. Wenn die Russen nicht gekommen wären, hätten sie doch jetzt das bronzene Mutterkreuz bekommen und ihre Tochter hätte jedes Jahr zu ihrem Geburtstag eine Pralinenschachtel vom Führer persönlich geschickt bekommen.« Es wurde noch ein wenig darüber spekuliert, ob er wohl auch Glückwunschkarten verschickt hätte, während meine Mutter sich erst spontan übergeben musste und dann vergeblich versuchte, sich in ein anderes Zimmer verlegen zu lassen.

Als Kind stellte ich mir an meinem Geburtstag immer diese Hitlerpralinen vor. Ich war zu klein um wirklich Antifaschistin zu sein, aber schon damals dachte ich, dass ich diese Pralinen nie gegessen hätte oder dass es ganz eklige seien, oder alternativ, dass die sicher vergiftet wären.

Als junge, erwachsene Kreuzbergerin mit politisch linkem Hintergrund konnte ich selten Geburtstag feiern, denn alle meine Freunde waren auf Demos an diesem Tag, oder machten Fahrwache, oder sie verkloppten Nazis, die des Führers Ehrentag feierten.

Später dann, bestand ich darauf, dass mein Geburtstag gefeiert wird. Das war dann auch die Zeit, in der ich oft von der Polizei besucht wurde. Natürlich lebte auch in meinem Haus der Idiot, der immer wieder wegen Ruhestörung die Bullen rief. Meistens so um elf herum, standen sie dann vor meiner Tür. Und nicht, wie bei anderen Ruhestörern, der KOB alleine oder eine Zweierfunkstreife, nein bei mir lief regelmäßig ein ganzer Trupp in Kampfmontur auf, denn wer an diesem Tag feiert, ist automatisch extrem verdächtig Nazi zu sein. Ich machte die Tür auf, wurde bedrängt, was denn hier los sei und antwortete wahrheitsgemäß: »Wir feiern!« – »Was wird hier gefeiert?« – »Geburtstag.« Der war damit dann meistens zu Ende, die Wohnung wurde geräumt. Nur manchmal reichte es aus, wenn ich den Bullen verzweifelt meinen Personalausweis unter die Nase hielt und schrie: »Mein Geburtstag, nicht Hitlers! Hier stehts! 20. April! Das ist heute! Ich kann da auch nichts für! Hab ich mir nicht ausgesucht!«

Einmal fiel mein Geburtstag unglücklicherweise mit dem Berlin-Besuch des amerikanischen Präsidenten Reagan zusammen. In Kreuzberg war damals der Höhepunkt des so genannten Lappenkriegs. An unzähligen Häusern und Wohnungen hingen antiamerikanische Transparente aus den Fenstern, die gegen die USA-Politik Stellung bezogen. Der Senat beschloss, dass dies dem Ansehen der Stadt schade und vor allem den deutsch-amerikanischen Beziehungen, und entblödete sich nicht, die Polizei anzuweisen, jedes Transparent zu entfernen. Über Wochen gab es ein lustiges Hin und Her, denn kaum war ein Transparent entfernt, hingen aus den Nachbarwohnungen drei neue.

Mein Geburtstag wurde gefeiert, indem wir zu zehnt in der Küche saßen und mit roter Farbe alte Bettlaken besprühten und diese an der Hausfassade befestigten. Danach aßen wir Kuchen, tranken Sekt und waren laut. Die bald herbeieilenden Ordnungskräfte waren durch ihre Dauereinsätze verwirrt und müde und hatten an diesem Tag die zusätzliche Aufgabe, Führerfeiern zu verhindern. In ihrer politischen Schulung hatten sie gelernt, dass nicht nur die Linken, sondern auch die Faschos gegen die USA-Politik sind. Sie zählten eins und eins zusammen – Antiamerika-Transparent und eine offensichtliche Geburtstagsfeier – und vergaßen dabei vollkommen, auch noch bis drei zu zählen; nämlich dass sie mitten in Kreuzberg 36 sicher auf keine Nazis stoßen würden. Auch vergaßen sie vollkommen zu klingeln und traten stattdessen gleich meine Wohnungstür ein. Wieder ein Geburtstag, der mir versaut wurde und den ich und meine Freunde sowie unsere damals noch sehr kleinen Babys in kargen Zellen verbrachten.

In den vergangenen Jahren war es ruhig am 20. April und manchmal konnte ich tatsächlich einfach feiern wie andere Menschen auch.