Jochen Schmidt: Vaginamonolog

Gibt es eigentlich auch andere als schwarze Löcher

Ob nun Saddam Hussein oder Rolf Eden, der Mensch definiert sich über seine Obsessionen. Manche können von Shakespeare nicht lassen, andere von Alkohol und Pferderennen. Ich habe, wenn ich ehrlich bin, nur zwei bleibende Leidenschaften: Taschenlampen und Reingucken. Sicher besteht ein Zusammenhang zwischen beidem, aber ich werde mich nicht dazu hinreißen lassen, mich selbst zu analysieren. Das wäre ja, als würde ich mit der Taschenlampe der Vernunft in den Abgrund meiner Seele leuchten.

Ich weiß noch, wie wohl ich mich im Mutterleib gefühlt habe. Hier, wohin kein Blick drang, war ich in meinem Element. Wie gern hätte ich diesen geheimnisvollen Raum genauer erforscht, aber es war zu dunkel und ich hatte keine Taschenlampe. Das sollte mir nicht noch einmal passieren. Von meinem ersten Geld kaufte ich mir eine dieser Wunderwaffen. Wenn andere Kinder neugierig auf die Welt waren, wollte ich in ihre Löcher leuchten. An unserer ganzen Wohnung interessierte mich nichts mehr als das Ofenloch. Ich konnte gar nicht leben, mit diesem ungelüfteten Geheimnis. Vielleicht wartete hinter den Kacheln ja eine Flaschenpost auf mich? Ein Schatz? Oder man hatte ein Kind eingemauert, das mit seinen kleinen Fingern verzweifelt am Schamott kratzte? Leider durfte ich dem nie auf den Grund gehen, aber zum Glück lernte ich lesen und kam so auf andere Gedanken. Mein erstes Buch verschlang ich an einem Abend: »Die Reise zum Mittelpunkt der Erde«. Auch ich würde eines Tages so eine Reise unternehmen. Es klang doch logisch, man stieg einfach immer tiefer in ein Loch in die Erde, bis man auf der anderen Seite wieder herauskam. Man musste nur diesen geheimen Spalt finden, den Luzifer bei seinem Sturz vom Himmel auf die Erde gerissen hatte, wie es bei Dante steht, was ich damals noch nicht ahnte, und heute auch nur zufällig weiß.

Meine Freunde begeisterten sich dafür, was im Fernsehen kam, ich wollte wissen, was sich im Fernseher befand. Aus dem Müll zog ich einen alten Fernseher und zerschmiss die Bildröhre mit einem Stein. Danach war es keine Bildröhre mehr. Ein ewiger Widerspruch, der Blick des Beobachters zerstört das Beobachtete. Von teilnehmender Beobachtung wusste ich noch nichts. Aber es war oft so, schraubte man etwas auf, schnellte einem eine tückische Sprungfeder entgegen, schraubte man es wieder zu, funktionierte das Gerät auch ohne sie, rätselhaft!

Überhaupt die technischen Geräte, allen voran die Kassettenrekorder mit ihren gierig schnappenden Mäulern, die man ihnen mit Kassetten stopfte. Dann schloss man die Klappe und es passierte etwas, das sich unseren Blicken entzog. Was stellte der Rekorder mit der Kassette an? Was tat sich dort im Dunkeln, wo die Finger nicht hinreichten? Wie oft habe ich mich das gefragt! Wäre doch wenigstens einer meiner Finger länger und dünner gewesen! Ich hätte diese Entstellung gern in Kauf genommen.

Zu meinem Geburtstag wünschte ich mir einen Zahnarztspiegel. Ich wollte endlich wissen, wie meine Mahlzähne von hinten aussahen. Ich hatte mir vor dem Spiegel schon fast die Lippen abgerissen, um tiefer gucken zu können. Stundenlang stand ich nun da und erkundete die hintersten Winkel meines Mundes. Für die Nase, in der ich so gerne bohrte, war der Spiegel leider zu groß, aber von einem Endoskop konnte ich nur träumen. Ganz aus dem Häuschen war ich, als bei uns endlich Die Reise ins Ich lief, ein Film, der im Westen schon vor Jahren gestartet war. Was für ein Traum, eine Reise in den eigenen Körper. Es wäre doch die Krönung meiner Existenz gewesen, meine Erfüllung, durch mich selbst düsen zu können und mir alles anzusehen. In fremde Sonnensysteme reichen unsere Teleskope, aber weite Teile des Darms bleiben für uns weiße Flecken. Damit werde ich mich nie abfinden können.

Ich musste kleinere Brötchen backen und untersuchte im Urlaub auf dem Dorf das Plumpsklo. Es war so dunkel dort unten, und es schien sehr tief zu sein, so lange, wie es dauerte bis zum Plumps. Ich leuchtete mit meiner Taschenlampe hinein, was verbarg sich wohl dort unten? Irgendwie war ich überrascht, als es nur Scheiße war.

Meine Leidenschaft wurde zu meinem Beruf, heute bin ich Röntgenassistent. Wie menschliche Ingeniosität die Grenzen unserer Sinne erweitert, hat mich immer fasziniert. Ich fand hier sogar in einer Patientin meine Frau. Wie lange hatte ich auf die große Liebe warten müssen. Aber Jennifer ist wie geschaffen für mich. Es ist nach einem langen Tag mein größtes Glück, nach Hause zu kommen, zu meiner Jennifer, die so herrlich oberflächlich ist. Nie stellt sie bohrende Fragen, nie schürft sie tiefer, nie löchert sie einen, nie will sie einer Sache auf den Grund gehen, wir ergänzen uns perfekt. Fast bin ich wunschlos glücklich, fast, denn einen Wunsch hat sie mir bisher verwehrt, eine quälende Neugier bleibt unbefriedigt: die Vagina. Dieses vielbesungene Tor zu unseren Ursprüngen. Hier einmal Licht ins Dunkel zu bringen, leider sperrt sich meine Jennifer gegen diesen ganz natürlichen Forscherdrang. Es gibt doch da jetzt diese praktischen, amerikanischen Taschenlampen, auch nicht viel größer im Umfang als ein Tampon. Aber sie lässt mich nicht gewähren, und ich möchte doch nicht erst ihren Tod abwarten müssen, um dieses Geheimnis zu lüften!

Und so liege ich nachts lange wach und tröste mich mit meinen Träumen. Das Weltall. Das größte aller Löcher. Schon als Kind habe ich den Strahl meiner Taschenlampe darauf gerichtet und doch nicht viel erkennen können. Jetzt durchreise ich es in Gedanken, Lichtjahre schnell, Nacht für Nacht. Bisher bin ich dabei noch niemandem von euch begegnet.