Heiko Werning: Baucheln mit Bernd Begemann

Als ich Anfang der 90er meine erste Bernd-Begemann-CD in den Händen hielt, konnte ich es kaum glauben: Was für Songs! Einfach, direkt, dabei gut beobachtet und charmant – eine wirkliche Neuentdeckung im musikalischen Einheitsbrei. Da ich seine Kunst also sehr schätzte, lud ich ihn als Gast zu meiner Reihe Weltstars privat ein.

Der Versuch, im Vorfeld einige Absprachen zu treffen, scheiterte: »Wenn wir echte Profis sind, können wir das auch so.« Also verabredeten wir echten Profis uns für den Auftrittstag um 17 Uhr, um alles Weitere festzulegen und gemeinsame Songs zu üben. Um 19 Uhr fuhr sein goldener Audi mit den BB-Initialen im Nummernschild vor, chauffiert von einem weiblichen Fan. Der durchaus dickliche Meister – ich darf das sagen – sprang aus dem Auto, lief auf mich zu, fuhr seinen Bauch airbagartig aus und ließ ihn mit dem auch nicht unbeachtlichen Gegenstück meinerseits kollidieren. »Erstmal ein bisschen baucheln!«, kommentierte er den ungewöhnlichen Begrüßungsvorgang. Schon Anfasser sind mir persönlich ja eher unangenehm; ich bin Westfale, und da reicht man sich zur Begrüßung und zum Abschied einfach die Hand. Mir genügt das. Ich muss nicht immer gleich schmatzende Menschen in den Armen, am Hals und auf den Wangen kleben haben. Am Bauch schon gar nicht. Aber nun gut, man will ja auch nicht verkrampft wirken. Also lächelte ich idiotisch und tat so, als sei alles in Ordnung.

Einen Ablaufplan für den Abend zu erstellen, erwies sich als schwierig, da Begemann kein besonderes Interesse an irgendeiner Kooperation zeigte. Er schlug vor, einfach einen Solo-Auftritt hinzulegen, ich könnte ja vorher irgendwas spielen. Ich wies dezent darauf hin, dass das nicht der Sinn der Einladung war. Unwillig ließ er sich auf eine modifizierte Mischversion ein. Die erste Hälfte lief recht rund, in der Pause scheiterten aber weitere Kommunikationsversuche, weil er der Tresenkraft, die uns freundlicherweise etwas zu trinken bringen wollte, attestierte, dass sie mit ihren blonden gelockten Haaren wie ein Engel aussähe und sich doch bitte langsamer bewegen möge, damit er ihre Anmut bestaunen könne. Der Frau war das sichtlich unangenehm, sie wollte weg, aber Begemann hielt sie auf, bestaunte sie weiter, während sie versuchte, sich möglichst unauffällig zu verdrücken, ohne allzu unhöflich werden zu müssen.

Ich dachte an eine Freundin von mir, die sich nach einem Begemann-Konzert ein Autogramm von ihm holte und ins Ohr gesäuselt bekam, er habe sie schon von der Bühne aus die ganze Zeit beobachtet und die letzten Lieder nur für sie allein gesungen. Seinem Ansinnen, mit ins Hotel zu kommen, leistete sie dann aber doch nicht Folge. Zwei Jahre später waren wir wieder gemeinsam auf einem Konzert, und sie, als Medizinerin mit Tierversuchen wohl vertraut, reizte die Experimentierlust. Erneut reihte sie sich nach der Show in die Reihe der Wartenden ein, erneut bekam sie ins Ohr geflüstert, dass er sie schon von der Bühne aus usw. – mit exakt gleicher Wortwahl, wie sie später fasziniert berichtete.

Da ich leider keine Frau bin, war das Interesse des Herrn Begemann an meiner Person arg reduziert. Auf Null etwa. Ohne genauere Absprache ging ich also nach der Pause allein wieder auf die Bühne und begann den zweiten Teil. Als Begemann dann kam, war er offenbar übellaunig. Plötzlich bestellt er mich zu sich nach vorne und offenbart dem Publikum, er habe festgestellt, dass ich einfach nicht funky sei und dass er dies nun zu ändern gedenke. »Heiko, willst du den Funk?«, grölt er mich an, und wahrheitsgemäß antworte ich: »Öh, äh – nö.« Nun fragt er das Publikum, ob er mich funky machen, ob er mich zum Tanzen bringen solle.

Ich bin nicht funky. Ich will gar nicht funky sein. Funkigkeit interessiert mich nicht. Ich will auch nicht tanzen. Ich habe schon als Jugendlicher die Tanzschule verweigert, auf Partys sitze ich lieber irgendwo in der Ecke und unterhalte mich, ich tanze nur in Momenten großer gefühlter Vertrautheit, auf der Bühne hingegen mache ich lieber etwas, von dem ich annehme, dass ich es einigermaßen beherrsche. Tanzen gehört da nicht zu. Ich weiß das. Ich muss das nicht von Herrn Begemann erklärt bekommen. Herr Begemann kann auch nicht tanzen. Ihm ist das aber egal. Zum Glück steht er auf der Bühne, so weiß der Unbeteiligte, dass ein epileptischer Anfall unwahrscheinlich ist. Die Masse findet es lustig, wie er da so zuckt und zappelt, und mir wäre es ja auch Recht, würde er nicht zeitgleich weiter auf mich und das Publikum einreden: »Los, Heiko, zeig uns den Funk! Ihr Vorleser steht doch nur so auf der Bühne, um euch bewundern zu lassen, ohne was dafür zu tun! Jetzt tanz! Gib uns den Funk!« Es gäbe viele sinnvolle Varianten, darauf zu antworten. Ihm eins aufs Maul zu geben, zum Beispiel. Irgendwas Schlagfertiges ins Mikro sagen. Achselzuckend weggehen. Das Dumme ist nur: Nichts davon fällt mir ein. Fassungslos stehe ich vorne, starre auf den hüpfenden und schwitzenden und schreienden Mann, höre, wie er dem Publikum ein weiteres Mal zuruft: »Wollt Ihr, dass Heiko funkt?«, wie die Meute vielkehlig »ja!« schreit, denke, ach scheiße, was zick ich hier rum, was ist schon dabei, und dann fange ich tatsächlich an, vollkommen idiotisch, ungelenk, unrhythmisch und vor allem: komplett unfunky herumzuhüpfen und alberne Bewegungen zu machen. Ich hoffe, dass dieser Wahnsinn ein schnelles Ende findet, höre keinen Takt, es gibt vermutlich auch gar keinen, weil Begemann wirr auf seiner Rhythmusbox herumklöppelt, kurzum: Ich lasse mich komplett vorführen.

Illustration von CX Huth

Der sensiblere Teil des Publikums wendet sich mit Grauen ab, der Mob tobt und will mehr. Und Begemann gibt ihm mehr. Er kommt auf mich zu, sein Gesicht längst in eine kampfhundartige Grimasse verzerrt, abschätzig sieht er mein hilfloses Herumgehampel, er baut sich vor mir auf, dann zischt er mir ins Ohr: »Und jetzt baucheln!« Er umfasst mich, streckt seinen Bauch heraus und schubbert sich an mir wie ein Schwein an der Borke eines Stammes, reibend und rubbelnd und rasend. Der Mann ist einen Kopf kleiner als ich und hat ein paar weniger Kilo auf den Rippen, würde ich meinen Bauch jetzt mal richtig ausfahren, würde er einfach umfallen, aber ich stehe nur starr und ungläubig da und registriere wie von außen, dass er mir und sich gleichzeitig das Hemd hochzieht, schon spüre ich sein schweißglitschiges, behaartes Abdomen sich auf meiner blütenzarten Haut auf und ab schieben. Ein Geruch umweht mich wie im Jungens-Umkleideraum einer Turnhalle, dessen Fenster seit zwei Wochen defekt sind und nicht mehr geöffnet werden können, eine nasse Spur auf meinem Körper hinterlassend, ein Gefühl, als würde ich von einer riesigen Nacktschnecke umfangen, die sich mit Hilfe ihres gesamten Schneckenschleimes und diesern lappigen Hautsäumen an mich festgesaugt hat, fast meine ich, ein den Lärm übertönendes Schmatzgeräusch zu vernehmen, als er mich endlich loslässt. Ich ziehe eilig mein Hemd wieder herunter, solange es noch beweglich ist, solange es in der Sekretschicht noch nicht verkrustet und festgeklebt ist, die Masse johlt, Begemann röhrt jodelnde Laute ins Mikrofon, jetzt will er, dass ich mein Hemd aufknöpfe, er reißt sich selbst die obersten Knöpfe auf und läuft mit hervorgestreckter, hobbitartig behaarter, schmierig wie eingespeichelt wirkender Brust auf mich zu, verklebt pappen seine Haare im Saft, er präsentiert seine Brust wie ein Gorilla-Männchen, fehlt nur noch, dass er darauf herumtrommelt, will weitere Knöpfe öffnen, bei sich, bei mir, reflexartig schütze ich mich mit den Händen, er ruft: »Los, wir ziehen uns aus!«, ein weiterer Knopf bei ihm springt auf, einige Frauen aus dem Publikum schreien lauthals »Bloß nicht!«, wie ein Kampfschwein wirft er seinen massigen Körper herum und stürzt auf den Tisch der Damen zu, pöbelt sie an, er brüllt: »Was ist das hier für ein Scheiß-Intellektuellenpublikum, bei jeder anderen Show wäre ich jetzt schon längst nackt!«, eine der Frauen ruft: »Na, da haben wir ja noch mal Glück gehabt«, benommen kann ich mich im Kampfeslärm davonschleichen und endlich wieder hinsetzen. Er liefert sich noch einige Wortgefechte mit meinen Retterinnen, dann greift er endlich wieder zur Gitarre und spielt, eine Saite reißt, es ist vorbei.

Nach der Show würdigt er mich keines Blickes, ein Dutzend Frauen umschwärmt ihn, er flüstert jeder etwas ins Ohr. Ich ahne, was es ist.