Jürgen Witte: Salbader Worterklärung

Aldisieren

Im aktuellen Webster’s, das ist sowas wie der Duden der USA, der kürzlich in neuer Auflage erschien, ist das Stichwort McJob erstmals verzeichnet. Die Definition, die der Webster (wie manche Lexikonleser kumpelhaft sagen) zu McJob gibt, heißt: »Schlecht bezahlte Arbeit, die wenig Fähigkeiten erfordert und kaum Aufstiegmöglichkeiten bietet.«

Die Firma McDonalds war darüber, dass sie nun lexikonwürdig ist, nicht amüsiert, man spricht in einer Presseerklärung von »…einer Ohrfeige für alle 12 Millionen Frauen und Männer, die jeden Tag in einem unserer Restaurants in den USA arbeiten.«

Für McDonalds gibt es jetzt zwei Möglichkeiten, entweder sie regeln das intern, also sie befördern ihre 12 Millionen Angestellten zu Geschäftsführern und bezahlen sie endlich anständig, oder aber, der Konzern versucht das Wörterbuch zu verbieten. Wie man hört, will McDonalds gegen Webster’s vorgehen.

Vielleicht ist das eine letzte Möglichkeit, sich gegen die Lügen der Werbung der Konzerne zur Wehr zu setzen. Etwas tun gegen das ultracoole Schweinevokabular, das ihrer Werbeagenturen uns täglich aufzwingen. Man müsste viel mehr wahre Wörter erfinden und sie so lange benutzen, bis sie Eingang in die Wörterbücher finden.

Wieso aber ausgerechnet Aldisieren? Nun, es ist schon gelegentlich die Rede von der Aldisierung unserer Gesellschaft. Aber noch ist nicht wirklich klar, was damit eigentlich gemeint ist. Die einen benutzen das Wort, um damit die deutsche Servicewüste zu beklagen, das Kaufen aus’m Karton; die anderen benutzen es, weil sie damit eine allgemeine Abwendung vom Luxus hin zum Einfachen, Billigen, zur Grundversorgung erkennen wollen.

Manche geißeln mit dem Wort Aldisierung die Tatsache, dass sich der hiesige Pöbel jetzt schon massenweise an Tiefkühlhummer, Champagner und 3-Gigahertz-Computern delektiert, obwohl es doch der Pöbel ist, dem solches eigentlich nicht zusteht.

Das Wort Aldisierung ist da, aber es schillert noch viel zu vage. Einzig die Jugend, die Minischnösel, die heutzutage auf dem Schulhof täglich ihr Sozialprestige zum Markte tragen und austesten, wie cool sie heute Morgen grade sind, die sind sich einig: »Aldi ist eklig! Aldi ist Proll.«

Zukünftig werden wir wohl Begriffskombinationen wie Aldi-Gesundheitswesen, Aldi-Rente und eventuell gar Aldi-Politik für das was Schröder hier veranstaltet zu hören bekommen. Was also läge näher, als das Wort Aldisierung als Synonym für all das zu benutzen, was man im Zuge der »Anpassung« an die »Verhältnisse« einer »globalen Wirtschaftsordnung« hier so veranstaltet.

Hartz 1, 2, und 3, der Arbeitsmarkt und das Sozialsystem werden von der SPD-Regierung aldisiert. Andererseits aber auch: Staubsauger aus Korea für 29 Euro bei Media-Markt, da wird mal wieder gnadenlos aldisiert! »Geiz ist Geil!« solche Sprüche, das ist doch Aldisierung in den Köpfen.

Illustration: Oliver Grajewski

So wird auch klar, dass billige Waren von fernöstlichen 12-Stunden-Tag-Lohnsklaven im Laden und sinkende Sozialleistungen im eigenen Land nur zwei Seiten der gleichen Münze sind. Und wenn uns mal wieder jemand von einem Schnäppchen vorschwärmt, das er soeben gemacht habe, dann kontern wir trocken: »Ja, toll, haste mal wieder kräftig aldisiert!« Es braucht einfach so ein Wort, das man den Leuten, die ständig mit billig erstandenen Konsumgütern prahlen, entgegenschleudern kann.

»Alter Aldisierer!« Ich mag das Wort, schon weil es, in Berliner Diktion zumindest, so ähnlich klingt wie »Al Dschasira«, und das haben wir schließlich auch auszusprechen gelernt.

So bedeutet Aldisieren im Wörterbuch demnächst: »abwertend, von den Folgen der globalen Wirtschaft profitieren.«

Aldisiert werden hingegen, bedeutet: »unter den Folgen der globalen Wirtschaft leiden«. Mal sehen, was die Gebrüder Albrecht dazu sagen.

Jürgen Witte

Jürgen Witte (*1956 in Karlsruhe). 1979 Flucht nach Berlin (West). Vortragender Autor beim ›Frühschoppen‹ und in der ›Reformbühne‹. Salbader-Senioren-Redakteur, lebt in Steglitz und hat nur das alte Web 1.0.