Falko Hennig: Eine Lanze für die DDR

Die DDR war Scheiße. Alles war voller Transparente, immer rot mit weißer Schrift: »Die Lehre von Karl Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist!« Ein verspießerteres Land als die DDR gab's doch auf der ganzen Welt nicht, selbst Polen oder die Tschechoslowakei waren weltoffen und kosmopolitisch gegen diese Hölle aus Trabbis, Würzfleisch und Karo-Dunst. Dumpfer Ausländerhass ohne Ausländer, Schwarze wurden als Bimbos, Vietnamesen als Fidschis beleidigt, die eingeschränkte Presse verblödete die von Natur aus schon nicht sehr helle Bevölkerung völlig. Die sichere Arbeitsstelle und das immer ausreichende Einkommen förderte die Debilisierung weiter, so dass man im Ostblock die DDRler an ihren stonewashed Jeans und merkwürdigen Jacken schon erkannte, bevor sie auch nur den Mund aufmachten.

Im ganzen Land gab es wohl keinen einzigen Hausaufgang mit nicht wenigstens einer Tür, an der ein ovales Holzplättchen mit Rinde angebracht war, auf das mit Lötkolben »Haxen abkratzen!« eingebrannt war. Die Anbetung von Autos und Eigenheimen hatte längst irrationale Züge angenommen, aber am meisten nervte, dass ununterbrochen vom Essen geredet wurde. In der Schule gab es mehrmals in der Woche Fahnenappell und der Rest der Gesellschaft wurde mit Parteilehrjahren und unfähigen Sekretären auf allen Ebenen in den Wahnsinn getrieben. Während man nach Theaterkarten oder Südfrüchten anstand, konnte man in den Zeitungen von den immer größeren Erfolgen und der weiteren Vervollkommnung aller Bereiche lesen.

Obwohl ununterbrochen über die schrecklichen Zustände im Westen berichtet wurde, konnten sie die Leute von der Flucht dorthin nur abhalten, indem sie sie an der Grenze erschossen und durch Todesstreifen, Mauer, Igelmatten und Selbstschussanlagen abschreckten.

Traumberuf in diesem Land war schon für die 18-jährigen der Rentner. Der Tod schreckte nicht sehr, man war ja sowieso schon lebendig begraben. Alle soffen wie irrsinnig und fraßen ohne Pause Bouletten. Die DDR hatte den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Fleisch und Schnaps, das waren die einzigen beiden Bereiche, in denen das Land tatsächlich führend war in der Welt. An den Imbissen konnte man sich noch aussuchen, ob man statt Boulette vielleicht Bockwurst wollte. In der DDR waren alle schlecht ernährt, aber überfressen, sie stanken übel und furzten ununterbrochen. Die einzige Möglichkeit, was anderes als Fleischabfälle zu essen, waren Rohkost oder Mohrrüben.

Illustration: Oliver Grajewski

Das Ganze war ein feudalistisches System, dem nur Ignoranten und Idioten etwas Fortschrittliches abgewinnen konnten. Meine Urgroßeltern hatten schon vor dem ersten Weltkrieg in einem abgelegenen Forsthaus in der Uckermark Telefon gehabt, meine Mutter dagegen wartete nach ihrem Antrag auf einen Fernsprecher 30 Jahre vergeblich auf diese technische Errungenschaft und würde wohl heute noch harren müssen. Technisch war das Land also auf den Stand von vor 1900 zurückgefallen, gesellschaftlich befand es sich im Mittelalter, ein feudalistischer Staat mit General- und Parteisekretären statt Königen und Lehnsherren. Nur dass die Feudalherren ehedem geschmacklich nicht so auf Schrankwände, Alkohol und Fleisch fixiert waren wie die neuen proletarischen Herrscher.

Der Kunstgeschmack der SED und die Ausstattung waren extrem hausbacken. Wenn irgendwas auch nur den Ruch einer Neuerung hatte, wurde es komplett abgelehnt, lieber sollte das Volk weiter mit Autos aus den 20er-Jahre fahren. Die in dieses unappetitliche Biotop verpflanzten RAF-Leute fühlten sich sehr wohl.

Alles war schmierig und braun, die Kleidung, die Parkas, die Tapeten und die Holzimitate aus Kunststoff. In den Zugabteilen stank es in den Nichtraucherwagen nicht weniger als in denen für Raucher, die Menschen bekamen statt weißer Haare so gelbliche von den Ausdünstungen, denen man nirgends entgehen konnte.

Die ganze Literatur war zum Kotzen, ausgerechnet die größten Bonzen wie Hermann Kant konnten sich, geschützt durch ihre hohen Stellungen, in ihren Veröffentlichungen am rebellischsten gebärden. Wer dagegen auch nur andeutete, dass die DDR ein schleunigst zu korrigierender Irrtum der Geschichte war, kam in den Knast.

Sadistischer Alltagsterror von Verkäuferinnen und Kellnern sowie den Beamten in den Behörden trieben die Leute in den Selbstmord, wenn sie nicht von der Musik völlig irre wurden. Denn die war auch die Hölle, Hauff & Henkler, Karat und die Puhdys, als John Lennon einem Attentat zum Opfer gefallen war, schockierte und verblüffte uns ein Mitschüler mit der unglaublichen Mitteilung: »Die haben einen von den Puhdys erschossen.« Schön wärs gewesen. Die Lieder »Sing, mein Sachse, sing!« und »Ich bin der letzte Kunde« waren die größten Erfolge der volkseigenen Musikproduktion, die es sogar bis in die Westsender schafften.

Kein Wunder, dass die progressive Jugend den Punk favorisiert und sich auf der Tanzfläche lieber im Pogo blutig trat, als weiter auf die neuesten Hervorbringungen in dieser Richtung zu warten. Was sollte nach »Karussell«, »Stern Meißen«, Muck und Inka eigentlich noch kommen? Das attraktivste am Punk war, dass es eben keine Massenbewegung war, in Ludwigsfelde gab es einen Punk, in Berlin schon mehr, aber die Szene war überschaubar.

Dieses Rauhfaser-Toilettenpapier, damit auch noch der letzte Arsch rot wurde. Diese DDR-Nostalgie hat mit dem Land von damals gar nichts zu tun, »Schwalben« fuhren seinerzeit nur dicke Genossenschaftsbäuerinnen und wer sich an die peinlichen Träger der verschiedensten Trainingsjacken erinnert, kann deren Wiederkehr an trendigen Stadtbewohnern nur idiotisch finden.