Kurznachrichten: Zeichen, Zeiten, Tage und Wunder

BVG-Schmähung, Folge 399

(Bov Bjerg) Das Vorhaben der BVG, ihr »Personal zu halbieren «, hat unnötige Ängste bei den Angestellten geweckt und falsche Hoffnungen bei den Kunden: »Halbieren? Vierteilen! Alle vierteilen!«

Jetzt soll die Belegschaft nur noch um ein Drittel verringert werden. Die restlichen zwei Drittel sollen ein Drittel weniger Gehalt bekommen. Damit sind plötzlich vier Drittel im Spiel. Das ist alles sehr verwirrend.

Alles wegen Liberalisierung, Marktöffnung und so. Versteh nicht, warum die U-Bahn in Prag oder Stockholm eine Konkurrenz sein soll. Vom Wenzelsplatz zur Burg, davon hat doch hier keiner was. Oder von Smörrebröd nach Volvo-fjord. Da kann das noch so billig sein. Oder dass die vielleicht Tunnels bauen hierher? Was das wieder kostet, U-Bahntunnels von Prag nach Berlin nach Stockholm und zurück. Und wer bezahlt den Wahnsinnam Ende, hä?

Andererseits: Wenn man den ÖPNV vollständig privatisiert (ÖPNV, das ist hochdeutsch für BVG), dann kann die U-Bahn auch mit andern Firmen zusammenarbeiten.

Synergie-Effekte und so. »Dieser Fahrscheinkontrolleur wurde ausgestattet von Humana.« Oder: »Mit dem Fahrrad nicht in den ersten Wagen! - Dieser Anschiss wurde Ihnen präsentiert vom S/M-Studio Lichterfelde.«

Am Paul-Lincke-Ufer I

(Andrea Scheffler) Zwei Betrunkene auf einer Parkbank. Nachdem sie lange geschwiegen haben, lallt der eine überlaut: »Wenn du sie nicht fickst, fick ich sie!« Ich bin entsetzt. Der andere überlegt eine Weile und sagt dann lakonisch: »Gut.« – Sollte es diese Frau wirklich geben, hat sie zwischen Pest und Cholera zu wählen. Oder macht sich besser schleunigst aus dem Staub. Wie ich jetzt, denn in solchen Situationen kann es je derzeit passieren, dass man um Rat gebeten wird.

Radio gaga

Nicht jeder, der eine Erbanlage hat, muss auch krank werden. (Bov Bjerg)

Am Paul-Lincke-Ufer II

(Andreas Scheffler) Eine junge Frau mit Kinderwagen. Der Säugling hat gerade seinen Schnuller in den Dreck geworfen. Die Mutter hebt ihn auf, lutscht den Sand ab und gibt dem Kind den Nuckel zurück, bevor es Zeit hat, mit dem Schreien anzufangen. Das ist Liebe. Zwei Meter weiter wirft das Baby seinen Beruhigungsknebel erneut von sich. Die Mutter spült ihn wieder in der Mundhöhle. Das ist Geduld. Als das Gleiche zum dritten Mal passiert, konstatiere ich völlige Selbstaufgabe.

Hausbesuch

Ich stehe bei einem schwer kranken Mann am Bett, plötzlich kommt aus dem Nebenzimmer ein riesiger schwarzer Hund, der einen schneeweißen Schüpfer an hat. Vorsichtig, um nicht zu stören, tritt nach ihm eine ältere Dame ins Zimmer und meldet: »Entschuldigung, wir sind läufig!« Ich beschließe, meiner eigenen durchaus auch genossenen Erziehung inne werdend, die mögliche Pointe zu ignorieren.
(Dr. Karl Abraham/Jürgen Witte)

Abstieg

Berlin-Wedding, Lüderitzstraße. Seit Jahren schon wundere ich mich, wie in dieser gottverdammten Ecke ein Möbelgeschäft überleben kann. Nun ist es plötzlich weg, Arbeiter klopfen den Fassadenputz von den Mauern. Berührt einen dann ja doch unangenehm. Um so stärker, da im vormals leer stehenden Ladenlokal nebenan ein neuer Mieter Einzug fand: »Wohnungsauflösungen und Entrümpelungen aller Art«, preist er auf seiner Schaufensterscheibe an. Allmählich glaube ich doch, dass an der Sache mit der Wirtschaftskrise etwas dran ist. (Heiko Werning)

Mutmachgedicht

schwarzenegger schauspieler
bohlen ein musiker
und ich ein begnadeter tänzer
schwarzenegger politiker
bohlen ein schriftsteller
und ich ein begnadeter tänzer

(Bov Bjerg)

Altersvorsorge 19

(Horst Evers) Ich war eigentlich sowieso nie jung. Erst vor kurzem hab ich wieder alte Beiträge von mir aus der Schülerzeitung angesehen und festgestellt, wie ich mich schon damals praktisch die ganze Zeit mit Alterserscheinungen auseinander gesetzt habe. Mit 17.

Tatsächlich durchlaufe ich seit ungefähr 20 Jahren jeden Tag ein ganzes Menschenleben. Allerdings rückwärts. Jeden Morgen stehe ich als alter Mann auf. Kann mich kaum bewegen. Erinnere mich zwar an jedes Detail aus meiner Jugend, aber kaum an letzte Nacht, und erst recht nicht, ob ich vor fünf Minuten schon das Meerschweinchen gefüttert habe. Dann werde ich im Laufe des Tages immer jünger und agiler, bis ich pünktlich zum Abendessen vor Energie strotze und auch einen gesunden Appetit entwickelt habe, um dann zunehmend infantiler zu werden und mich in der Nacht wieder zum quengelnden Kleinkind zurückzuentwickeln, das einfach nicht ins Bett will. Seit 20 Jahren durchlaufe ich jeden Abend praktisch eine komplette Pubertät. Das muss man sich mal vorstellen.

So gesehen bedeutet Altersvorsorge für mich eigentlich, wenn ich am Abend schon das Frühstück für den nächsten Tag bereitstelle.

Wenn Polizisten demonstrieren

Da lacht Bin Laden
(Transparent bei einer Wiesbadener Demo gegen den geplanten BKA-Umzug nach Berlin)

Wattestäbchen I

Heute morgen habe ich auf meiner Wattestäbchendose einen Hinweis entdeckt: »Noch Fragen zum Produkt?« Dazu eine kostenlose Hotline-Nummer. Obwohl ich lange nachdenke, fällt mir keine Frage zum Wattestäbchen ein.
(Andrea Linder)

Korinthenkacken (incl. Reflexion)

(Bov Bjerg) Und ob man jemanden, der einem per Mail »Klugscheißerei par exellence« vorwirft, wirklich darauf aufmerksam machen sollte, dass man »par excellence« mit einem c nach dem x schreibt, das ist noch sehr die Frage.

Regionalprogramm

(Bettina Andrae) Sie sei eine einfache Frau vom Lande, beteuerte die Alte neulich im Regionalprogramm. Auf die Frage nach ihrem Lebensmotto brachte sie folgendes Sprichwort aus ihrer ostpreußischen Heimat zu Gehör: »Die Vernunft kommt nich mit ejn Fluchzeuch jeflougen, sondern uff ejn Eselchen jeritten.«

Ob die einfache Frau vom Lande damit den afghanischen Taliban ihre Sympathie bekunden wollte, blieb leider ungeklärt und ich allein mit diesem Bild im Kopf auf meinem Fernsehsessel zurück.

Vom Reklamieren

(Jürgen Witte) Ich bringe einen Blumenstrauß in den Blumenladen. Von ganz von zu Hause hab ich den mitgebracht. Exemplarisch. Die Dame guckt mich irritiert an, sie sieht den arg welken Strauß, sie sagt aber nix. Sie hätte ja sagen können: »Iii, das welke Gemüse, also von uns ist das aber nicht!« Hätte sie sagen können, aber das tut sie leider nicht. Also sage ich: »Gnädige Frau, diesen Strauß habe ich vor zwei Tagen hier bei ihnen gekauft, ich denke da müssen wir mal drüber reden. Diese Rosen da ließen schon am nächsten Morgen die Köpfe hängen, jetzt 24 Stunden später sind sie quasi pures Stroh. Ja, der Strauß stand im Wasser! Was glauben denn Sie, was ich mit Ihren teuren Blumensträußen mache?«

Mein Versuch, einen Schnittblumenstrauß zu reklamieren, ist erwartungsgemäß schief gegangen, ich gebe es zu. Aber wert warʼs mir das. Mitten im teuren Fleurop-Blumenladen, einem Meisterbetrieb, einmal ganz laut das böse Wort »Blume 2000« auszusprechen. Einen Händler daran zu erinnern, dass es weiterhin Menschen gibt, denen noch nicht alles ALDI ist, was sie kaufen.

Wattestäbchen II

(Jürgen Witte) Jedes Mal, wenn ich auf der Verpackungen von Wattestäbchen den üblichen Warnhinweis »Bitte nicht in die Nasenkanäle oder den Gehörgang einführen« lese, frage ich mich aufs Neue: »Ja was denn sonst? Werden diese Dinger wirklich nur gekauft, um alle paar Jahre den Tonkopf im Kassettenrekorder mit Spiritus zu reinigen?«

Betrachtung

(Bov Bjerg) Auch ziemlich merkwürdig an der Natur: Man geht in sie hinein, spazieren etc., und irgendwann stellt man fest, dass dort alles immer noch so ist wie vor dem Internet.

Bahnsatire

Jüngst fuhr ich mit der Bahn von Berlin (Ostbahnhof) nach Marburg (Lahn), von Marburg (Lahn) weiter nach Denzlingen im Glottertal; von Denzlingen mit Zwischenstopps in Mannheim und Heppenheim (Bergstraße) nach Haunau-Wolfgang und von dort zurück nach Berlin (Ostbahnhof); gute 16 Stunden verbrachte ich in Zügen der Deutschen Bahn AG, und es ist überhaupt nichts Lustiges passiert.
(Volker Surmann)

Kulturbeutelkontrolle

Nein, es ist mir nicht peinlich, dass auf dem Flughafen die Röntgenfrau bei der Gepäckkontrolle meinen unaufgeräumten, schmuddeligen und absolut kulturlosen Beutel nach waffenähnlichen Gegenständen durchforstet. Mit dem Pinzettengriff entnimmt sie meinen 60er-Jahre-Nassrasierer, an dem noch einige Haare kleben, sieht mich fragend an und ich überlege, ob sie nicht weiß, was das ist, oder ob sie mich seiner Verschmutzung wegen tadeln will, da steckt sie ihn schon wieder hinein und kramt die Seitentaschen durch, um zielsicher das einzige Kondom, das ich schon seit Jahren mit der Hoffnung auf spontanen Sex mit mir führe, herauszufischen.

Ich sehe mich plötzlich mit dem Kondom über dem Kopf und dem Nassrasierer in der Hand das Cockpit stürmen, um spontanen Sex mit dem Piloten zu fordern, und lächle versonnen – was die Kontrolleurin dazu veranlasst, eilig den Beutel zu verschließen und mich durchzuwinken. Irgendwie bleibt mir dennoch ein Gefühl tiefer Schuld.
(Jochen Gerken)

Vorbild

Ich gehe über eine rote Ampel. Kommt mir eine Frau entgegen mit zwei kleinen Kindern an der Hand.

»Na, Sie sind mir aber ein Vorbild!«, schnauze ich sie an.
(Volker Surmann)

Perlen der Öffentlichkeitsarbeit

I.

Für viele unserer pflanzlichen Kletterkünstler ist es eine Wonne, sich um Stäbe, Drähte oder Gitter zu winden.
(www.obi.de)

II.

Ich bin ein geeigneter Grabschmuck
(Handgeschriebener Zettel an einem Kranz mit Moos und Kastanien; Spar-Markt Leipzig)

In der Gross-Destillation »Zur Quelle«

(Andreas Scheffler) Die Rentnerin Gerda muss gestehen, dass sie zur Begleichung der Zeche nichts Bares habe, nur ihre Geldkarte. Gleichzeitig erklärt Gerda, die während meiner Anwesenheit ununterbrochen Kaffee getrunken hat, sie sei zu nervös, um den Geldautomaten zu bedienen. Man beschließt, dass ein anderer Gast für sie zum Automaten geht. Die Geheimnummer wird auf einem Bierdeckel notiert. Nun vergeht eine zähe Zeit des Wartens und Spekulierens. Nach einer halben Stunde kommt der Geldbote zurück und muss erklären, dass die Karte nicht funktioniert habe, weil auf dem Bierdeckel eine sechsstellige Geheimzahl notiert war. Im Lokal bricht ein gemäßigter Tumult aus.

Ein Absacker

Der Flugkapitän oder wer auch immer bittet die Passa-giere, während des Fluges aus Sicherheitsgründen ihre Laptops und Taschentelefone auf jeden Fall auszuschalten. Das klappt doch nie, denke ich. Immer gibt es irgend jemanden, der zu wichtig ist. Wir werden herunterfallen und brauchen dafür nicht einmal Terroristen.
(Daniela Böhle)

Am Schäfersee

(Andreas Scheffler) Auf einer Bank rauche ich eine Zigarette. Als ich die Kippe ausdrücke und in einen Mülleimer werfe, kommt eine Rentnerin, die dies gesehen hat, auf mich zu, sagt »Junger Mann« zu mir und bedanktsich, dass sie so etwas noch erleben durfte; also dass ich meine Kippe nicht auf den Weg geworfen habe. Dieses »Junger Mann« zu hören – für den Rest des Tages werde ich gute Laune haben.