Jürgen Witte: Manchmal sehe ich nachts den Fuchs aus dem Stadtpark, wenn er auf meiner Straße durch das Viertel streift.

Ein niedliches, kleines rotes Auto fährt einsam um den Block und sucht einen Parkplatz. Es ist schon spät. Viel zu spät für kleine rote Autos. Um diese Zeit sollten die sich nun wirklich nicht mehr auf der Straße rumtreiben. Weil sie doch so niedlich sind und völlig schutzlos scheinen. Kurz später fährt es dann zum zweiten Mal vorüber. Und immer noch kein ruhiges Plätzchen zum Schlafen gefunden. Ganz langsam fährt es jetzt, lugt dabei nach allen Seiten. Fast scheint es, als zittere das kleine niedliche rote Auto, weil es kalt geworden ist und das Auto doch solche Angst hat. So allein da draußen in der dunklen Nacht.

Jetzt schnuppert es an der Ecke. Ja, da wäre schon ein nettes Plätzchen, vor dem Lieferanteneingang zum Supermarkt, aber da ist das Parken ausdrücklich verboten. Das ist so schade, dass ausgerechnet an dieser lauschigen Ecke das Parken so verboten ist. Kurz scheint es, als wolle das kleine rote Auto diesen letzten freien Platz trotzdem besetzten. So verzweifelt ist es jetzt schon. Es blinkt und stößt zurück. Es hält kurz inne, aber dann überlegt es sich das doch noch mal, und trollt sich wieder. Um die Ecke. Der Lastwechsel beim Hochschalten in den zweiten Gang klingt wie ein enttäuschter Seufzer. Ja, kleine niedliche rote Autos haben es hier echt nicht leicht. All die anderen Autos sind aber auch gar so groß. Und die meisten davon sind nicht mal niedlich. Und alle haben sie schon einen Parkplatz gefunden auf dem sie jetzt dreist hocken, wie brütende Hennen auf ihren Eiern im Nest.

Ich kann hören, wie das kleine rote Auto langsam um die Ecke verschwindet. Dann höre ich aus einer anderen Richtung plötzlich das tiefe Blubbern von einem dieser dicken schwarzen Brummer. Schnell nähert es sich. Und schon saust das fette Protzmobil am Fenster bei mir vorbei. Und ehe man sichs versieht, steht es dann auch schon an der Ecke. Genau dort, wo für die kleinen niedlichen roten Autos das Parken aber auch Sowas von verboten ist. Dicke Brummer stört das nicht. Der setzt sich da ganz dreist vor den Lieferanteneingang. Die Probleme der niedlichen Autos sind seine Probleme nicht. Jeder neue Strafzettel motiviert so einen nur. Zu mehr Leistung. Das dicke schwarze Ding ächzt kurz, das war wohl die Handbremse, und das Blubbern des schweren Motors erstirbt. Ein Mann steigt aus, knallt die Tür zu. Dann blinkt und piept das böse dicke Auto, weil die Alarmanlage aktiviert wurde. Und schon ist wieder alles still in der Straße. Nur das Gebläse des eben geparkten klobigen Geländewagens läuft noch einige Minuten lang nach.

Kurz später biegt ein verschüchtertes kleines rotes Auto erneut in die Straße. Es ist immer noch recht niedlich, aber irgendwie wirkt es langsam auch ziemlich genervt. Wie es nun wieder nach rechts und links wittert, ob sich da wohl etwas bewegt haben mag in den letzten fünf Minuten. Dann gibt das rote Auto plötzlich Gas, es hoppelt über das Kopfsteinpflaster an mir vorbei bis hin zur Ecke. Dahin, wo das Parken verboten ist. Dahin, wo eben noch eine notdürftige Lücke für die Nacht gewesen wäre. Dort, wo jetzt der dicke schwarze Brummer steht. Mitleiderregend sieht es aus, wie das niedliche, kleine rote Auto neben diesem Brummer kauert. Nein, die beiden werden sicher keine Freunde. Das Dach des Kleinen reicht dem Großen kaum über den Kotflügel. Ich glaube, das kleine Auto fängt nun echt an zu weinen. Ich kann gar nicht mehr hingucken. Ich will es auch nicht. Ich mach jetzt lieber schnell das Fenster zu. Sonst muss ich vielleicht irgendwann irgendwo eine Zeugenaussage machen. Und das wäre mir nun wirklich sehr unangenehm.

Jürgen Witte

Jürgen Witte (*1956 in Karlsruhe). 1979 Flucht nach Berlin (West). Vortragender Autor beim ›Frühschoppen‹ und in der ›Reformbühne‹. Salbader-Senioren-Redakteur, lebt in Steglitz und hat nur das alte Web 1.0.