Andreas Scheffler: Mutter hat's gerne Sauber

Gerade will ich diese Geschichte anfangen, da ruft Mutter an und fragt, ob wir denn unseren Vorgarten schon bepflanzt hätten. Nein, sage ich, denn wir müssten erst noch den Mutterboden kommen lassen, und das ginge erst, wenn der Sockelputz angebracht sei. Dies wäre aber noch nicht der Fall. Zudem koste das alles Geld, was im Moment nicht locker sitze. Wir hätten jetzt das Haus und lebten darin prima. Wenn man rausguckt, sieht alles toll aus, und wer von außen guckt und die Sandberge voller Schutt drum herum sieht und mosert, soll sich einen Strick nehmen, zum x-ten Male seinen Rinnstein kehren, sein Auto waschen oder einen Leserbrief an die Märkische Allgemeine schreiben. Mutter legt auf. Ich trinke einen Kräuterlikör für den Magen.

Zwei Wochen vorher bei den Eltern in Westfalen: »Jetzt mit eurem großen Haus«, sagt Mutter, »da habt ihr ja ganz schön was zu putzen. Gerade mit den vielen Fenstern.« Dabei sieht sie meine Frau Sabine an.

»In Berlin habe ich unsere Fenster immer einmal im Jahr geputzt«, sage ich, »jetzt ist es wohl öfter nötig. So alle drei, vier Monate.«

»Ich sehe das eher lax«, fügt Sabine hinzu. Mutter quetscht etwas Feuchtigkeit aus ihren Augen, ihre Stimme bricht ein wenig. »Hätte ich das gewusst, hätte ich euch nichts für das Haus dazugeschossen.« Dann steht sie vom Tisch auf, verlässt den Raum und bemüht sich, den Eindruck zu erwecken, als müsste sie gleich sterben. – Und wir sind schuld. Weil wir unsere Fenster nicht regelmäßig an jedem zweiten Freitag putzen.

Meine Eltern, die unser Haus zum Teil mitfinanziert haben, dürfen dieses Haus und seine Umgebung nicht sehen. Sie haben 1968 selbst ein Haus gebaut und sind damals sicher schneller und mit mehr Zeiteinsatz zu Gange gewesen, aber wie ich von meinen älteren Brüdern weiß, ging es seinerzeit vordringlich um die Fassade und wie es sich allgemein von außen anschaut. Würden meine Eltern, speziell die Mutter, unser Haus heute sehen mit den ungeputzten Fenstern, dem nicht vorhandenen Vorgarten, dem Staub in der einen und anderen Ecke und ganz ohne Gartenzaun, sie würden reagieren wie vor 16 Jahren, als ich geheiratet habe. Damals, und noch heute, möchte ich beim Gedanken an den Tag vor Sabines und meiner Hochzeit jemand Unsympathisches zusammenschlagen, bis er am Boden liegt und um Gnade winselt. (Tatsächlich würde ich das nicht tun, denn ich habe mich unter Kontrolle, auch wenn das manchmal sehr schwer fällt.) Damals hatte meine Mutter zum ersten Mal unsere karge Bruchbude in Mitte gesehen, in der wir glücklich wohnten und wir liebten uns genauso, wie wir es heute in unserem Haus tun. Sie sah diese schlichte Wohnung mit dem abbröckelndem Putz, den Kachelöfen und den ungeputzten Fenstern und verglich sie mit dem schmucken Einfamilienhaus in Westfalen. Sie griff an ihr Herz, setzte sich auf einen Hocker, quetschte ein paar Tränen hervor, ihre Stimme brach und sie sagte: »Ich hätte nicht gedacht, dass du so tief sinken könntest.«

Zudem hatte Sie Vorbehalte, weil meine Frau geschieden, vier Jahre älter und aus dem Osten war. Ich war damals zu perplex, um sie rauszuschmeißen. Außerdem war ja alles arrangiert, das Essen, die Gäste, pipapo. Mal abgesehen von dem Eklat. – Vor einer Hochzeit kann man niemanden rausschmeißen; bei der Feier danach geht das schon, wenn sich jemand daneben benimmt, ein Freund allen Frauen Bowle ins Dekolleté kippt, ein anderer sogenannter Freund in einer Rede an die fünfzig One-Night-Stands des Gatten aufzählt, die alle frei erfunden sind, wenn Kollegen einem Scheiß Ost-Produkte wie Tischdeckenbeschwerer, Selbst-mach-Stiel-Eis-Behälter aus Plaste und eine Aluminium-Grillzange, die bei der ersten Benutzung auseinanderfällt schenken, oder gegen fünf Uhr in der Frühe sich drei Personen wegen des Salzgehaltes des Kartoffelsalates in die Haare kriegen. Man kann Bekannte, Freunde und Verwandte, sogar Eltern rausschmeißen. Man kann einen Eklat auslösen und sich kurz befreit fühlen. Und dann findet man sich bei Frau Kalwass in Sat1 wieder.

Aber wenn man beim Essen nach dem Standesamt einen dicken Scheck von den Eltern bekommt, dann ist man korrumpiert und schmeißt die nicht raus. Und mit den Jahren vielleicht denkt man, jetzt gehen sie ja auch schon an die achtzig, sind nicht mehr gut dabei, und wer ist dann der Abhängige? Und wie geht dann der Mächtigere mit ihm um? Ist er dann nachtragend oder verzeiht er, zudem er ja auch zwischendrein korrumpiert worden ist? – Man weiß es noch nicht.