Andreas Gläser: Kleiner Vogel

Prima, wenn die Vöglein draußen zwitschern, aber nicht gleich durch den Fensterspalt zu mir rein fliegen. Das ist neulich zum Sonnenaufgang passiert, ich hörte im Halbschlaf schon so’n komisches Flattern, so als wenn der Wind an der Jalousie rummacht. Ich dachte schon, ich müsste lieber das Fenster zumachen, aber nee, da piepste es plötzlich so ängstlich. Im nächsten Moment klatschte ein kleiner Körper gegen die Scheibe, ohne dass die gleich klirrte, denn wenn so’n Vogel erst mit dem Schnabel und dann mit der Schädeldecke gegen ne Scheibe knallt, macht es kurz ritsch und etwas länger bum. Ich sprang auf, sah mich schleunigst um und war froh: keine ekelhafte Taube, nur so’n kleiner Spatz, aber doch ’n ziemlicher Brummer, verglichen mit’na Hummel. Aber prima, keine Taube! Einen Spatzen wollte ich nicht gleich töten, obwohl er so unkoordiniert herum flatterte, sich kurz auf meinem Computer ausruhte und spontan raufkackte, aus Angst, nahm ich an.

Aber der Computer musste weg und ein Neuer her. Vom Amt, könnte ich nächstes Mal ankreuzen bei Betriebsausgaben. Ich bin also aufgesprungen. Türe zu, Fenster auf. So, Vogel, runter von der Enzyklopädie, Kulturgeschichte der Menschheit. Einmal vom ersten bis zum 18. Teil rüberhüpfen war okay, noch ne Ehrenrunde um die Lampe und Tschüss. Hat er gemacht und behielt mich wohl in guter Erinnerung, sicherlich bis zu dem Tag, an dem ihn ein Südeuropäer zwischen zwei Zwiebelscheiben spießte, zusammen mit seinem Singeclub. Aber bei mir kriegen viele Vögel ihre Chance.

Illustration: Josh Baumann

So, Sonnenaufgang, ich konnte nicht mehr schlafen. Aber immerhin hatte es über Nacht nicht so am Nacken gezogen. Ich schlafe ja mit dem Kopf zur Fenster- und mit den Füßen zur Korridorseite, obwohl das ein böses Omen ist, wie mir eine Hexe verraten hat, weil die frisch Verstorbenen zuerst mit den Füßen zum Verlassen ihrer vier Wände bewegt werden. Man solle mit dem Kopf zur Korridorseite schlafen. Ja, ich könnte meine Schlafgewohnheiten ändern, wollte ich aber nicht, weil ich dazu meine Schlafcouch hätte umdrehen müssen, aber dann stünde die sozusagen mit dem Rücken zum Fernseher und ich würde zu viel aus dem Fenster kucken. Gut, ich könnte den Fernseher auch zwischen die Fenster stellen, dann schiene die Sonne nicht mehr so rauf. Jedenfalls sprang ich ungeduscht in die Jogginghose und in die Schuhe, ich rannte raus und runter. Im Dauerlauf, schon ganz gut auf Touren, von null auf 33. Und da flatterte und kreischte es schon wieder so komisch. Ein Vogel, nein, zwei. Die hingen aneinander und flogen so unkoordiniert um mich herum.

Entschuldigung. Was hatte ich um sechs Uhr auf der Straße zu suchen? Joggen, das glaubt einem keiner. Und das Fenster offen gelassen zu haben – ein Fehler, der nicht von den Tauben bestraft wurde. Ein Spatz hatte genügt. Ich war froh und wach und ich wusste schon, welche Schallplatte ich zum Frühstück hören würde: Monika Herz, Bitte, tanz mit mir, natürlich mit Kleiner Vogel. Schön laut, damit die Madame unter mir wüsste, dass ich nicht der war, der sie mit zu lautem Elvis aus dem Bett scheuchte. Lieber die LP von Monika Herz.

Monika, so hieß auch meine erste Ferienlagerfreundin. Ihren Nachnamen wusste ich noch nie, sie hätte eh meinen angenommen.