Sarah Schmidt: Wo die Igel lärmen

Das erste Mal wird ganz beiläufig ins Gespräch gebracht. Wir könnten ja mal wieder. Wäre schon schön. Vielleicht am Freitag oder Samstag. Ja mal sehen, wie es sich so ergibt. Lass uns einfach auf eine Einladung hoffen. Und kurz darauf kommt der ersehnte Anruf: »Habt ihr Lust, zum Grillen vorbeizukommen?«

»Ja, klar. Sollen wir was mitbringen?«

»Das Übliche.«

Also Alkohol, denn Fleisch und Fisch und Salat gibt es beim Grillen sowieso immer zu viel, Bier meist zu wenig. Und dann, am Samstag, ist es so weit: Angrillen im Lichtenrader Garten der Freunde. Schon die Fahrt mit der S-Bahn ist ein Erlebnis. Ein Mann mit einem großen Messer im Hosenbund streift mit bösem Blick durch den Zug. Vermutlich auf der Suche nach einem Opfer. Ich möchte heute nicht umgebracht werden und krame darum vorsorglich nach einer Dose Bier zur Besänftigung. Als er bei uns angekommen ist, sagen wir »Hallo! Trinkst du eins mit?« Der Böse verwandelt sich in ein liebes Hauskätzchen, das sich sehr freut, mit Karacho anstößt, uns zu seinen besten Freunden erklärt und dann laut »Prost allerseits!« in den Waggon ruft. Die anderen Fahrgäste murmeln brav zurück und schauen uns sehr dankbar an. Augenscheinlich wollte heute niemand umgebracht werden.

Im Freundeshaus angekommen, müssen wir uns die neueste Heimwerkerarbeit ansehen. Die Wände der Gästetoilette wurden mittels einer aufwändigen und langwierigen Spachtelmaltechnik orange gestrichen. Monatelang hat der Hausherr seine Freizeit im Klo verbracht, sieben Schichten Farbe aufgebracht und wieder abgeschmirgelt und übermalt. Sehen kann man das alles eher nicht, aber es sei wasserfest und die Technik komme aus Marokko. Wir sagen »So, so.« und »Aha?« und »Na schau an, was du alles kannst!« und dürfen dann in den Garten.

Bier und Wein, Fleisch und Fisch, Gemüse und Salat werden ins Freie gebracht, die Gartenbänke von Vogelkacke befreit, der Tisch gewischt, der Grill entstaubt. Der Garten wird bewundert, guck mal, der Rosmarin blüht, hast du so etwas schon mal gesehen? Und hier, die Pfingstrose hat ihre Blüten ausgebreitet wie große weiße Seidentücher.

Einer, immer ein Mann, fängt dann an, Kohlen auf den Grill zu schütten, dann kommt der erste Streit des Abends auf. Das Feuer macht man doch nicht mit Spiritus! Wie unsportlich! Der Mann jedoch kontert mit seiner überaus langen Grillerfahrung und gibt noch einen Spritzer Sprit auf die brennenden Kohlen. Nun heißt es warten, bis nur noch heiße Glut im Grillbecken ist. Die eine erzählt von ihren Wanderjahren als Schmiedin, der Nächste berichtet, sein Bauchumfang sei durch eine so genannte Meyerkur auf 107 Zentimeter geschrumpft, eine Frau weiß, dass dies genau ihr Umfang war, wenige Tage bevor sie ihre Zwillinge gebar. Damals vor vielen Jahren. Die alte bösartige Mutter des Heimwerkerfreundes sitzt mit am Tisch, sie findet alle Gespräche langweilig oder wahlweise unter Niveau und bricht deshalb und aus Prinzip einen Streit mit ihrem fast 50-jährigen Sohn über die Temperatur des Weines vom Zaun.

»Der ist viel zu warm! Eine Schande. Hab ich dir nicht beigebracht, wie man seine Gäste behandelt?«

»Mutter, du hattest nie Gäste und der Wein ist nicht zu warm, das ist Rotwein, der muss so sein.«

»Ach, will mein Herr Sohn mir jetzt erklären, wie Wein temperiert sein muss. Mir? Ich trinke schon länger, als du überhaupt lebst.«

»Ja, Mutter, ich weiß.«

»Und nenn mich nicht immer Mutter, das macht alt.«

»Du bist 84, das ist alt. Mutter.«

Alle anderen sind froh, dass ihre Mütter nicht anwesend sind, und lauschen gespannt. Doch der Streit ist leider schon wieder vorbei und man überlegt gemeinsam, ob Insekten und Fische eigentlich ein Herz besitzen. Niemand weiß es außer der Mutter, doch der Sohn schneidet ihr das Wort ab: »Mutter, das interessiert niemanden!« Das stimmt nicht, denn die Mutter ist die Einzige, die hier für Stimmung sorgt. Egal, jetzt wird angestoßen und das erste Fleisch auf den Rost gelegt. Die Sonne ist untergegangen, die Nachtigall versucht zu singen, aber es hört sich irgendwie falsch an, als hätte sie Kehlkopfkrebs. Trotzdem, man hört andächtig zu.

Die Mutter fängt an, mit dem Sohn darüber zu streiten, ob eine Pflanze in seinem Garten eine Clematis ist oder nicht. Sie meint nein, der Sohn widerspricht. So lange geht es hin und her, bis er schreit: »Mutter, das ist sogar deine Clematis. Ich habe sie letztes Jahr aus deinem Garten geklaut. So, und jetzt ist Ruhe.«

Illustration: Josh Baumann

Der indische Freund berichtet, er erhält nächsten Monat endlich seine deutsche Staatsbürgerschaft. Hat alle Hürden genommen, zwei Jahre für viel zu wenig Geld gearbeitet und sich nichts zuschulden kommen lassen. Endlich nach England reisen können, ohne Visum. Darauf freut er sich. Die anderen raten ihm, sich am Tag nach der Einbürgerung erst mal arbeitslos zu melden. Man habe schließlich nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten in diesem Land.

Nach und nach sind alle betrunken und fahren nach Hause, zurück in die große Stadt. Die Luft ist samtig, drei sitzen noch auf der Bank, füllen ihre Gläser ein letztes Mal, gucken in die Sterne und rauchen einen Joint. Die Mutter ist eingeschlafen, ich frage, ob man ihr nicht eine Decke überlegen sollte, der Sohn erwidert: »Nein. Höchstens ein Kissen aufs Gesicht.« Sie schnarcht leise vor sich hin. Doch gerade bevor es zu romantisch wird, raschelt und schmatzt es laut aus den Tiefen der grünen Umgebung. Horch mal, hast du das gehört? War das die Mutter? Nö. Man schweigt, lauscht angestrengt und, ja, da ist eindeutig etwas. Und dann sieht man zwei Igel lärmend über die Wiese laufen, Nase an Hintern, auf der Suche nach einem leckeren Schneckenmahl. Jetzt gehört der Garten ihnen und wir gehen.