Hinark Husen: Ausnahmsweise andere Umstände

Ich mache mich auf den Weg zur Kaufmännischen Krankenhasse in Reinickendorf – zur KKH – um einen Gutschein für einen Kaiserschnitt abzuholen und betrachte dabei meinen wohlgenährten Bauch. Es ist ja schon erstaunlich, was Frauen so alles auf sich nehmen. Eine sogenannte natürliche Geburt ist sicherlich nicht gerade die angenehmste Sache der Welt, aber immerhin, die Bauchmuskeln bleiben intakt. Was Mann sich halt so für Gedanken macht, wenn man für seine schwangere Arbeitgeberin unterwegs ist.

Die KKH ist in einem großzügigen Neubau im vierten Stock untergebracht. Ein improvisierter Empfangstresen und ein halbes Dutzend Schreibtische in einem lichtüberfluteten, eher mittelgroßen Großraumbüro. Übersichtlich wirkt das Ganze und freundlich. Ich fasse mir ein Herz und gebe nicht gleich mein Anliegen zum Besten, sondern frage die Empfangsdame nach dem sympathischen Schreibfehler in ihrer Abkürzung: Also, Krankenhasse klinge ja durchaus nachvollziehbar, vor allem in einer Zeit, wo gerade die Kranken ihre Kassen nur noch hassen, aber abgesehen vom Reim kann das doch nicht Absicht sein? Die Dame klärt mich lächelnd darüber auf, dass das H in KKH für Hannover stünde. »Kaufmännische Krankenkasse Hannover!« Sie sagt »Hannover« und lächelt. Merkwürdig, wenn ich seltenerweise »Hannover« sage, ist mir eigentlich eher zum Weinen zumute. Das aber verrate ich lieber nicht.

Hannover, da fallen mir Niki de Saint Phalle ein und ihre Nanas und natürlich Gerhard Schröder, der Latin-Lover von der Leine, jetzt wohl eher als Gasprompromoter unterwegs. Diese Stadt scheint von einer unterschwelligen Sexualität geprägt zu sein. Wie beruhigend, dass die auch so langweilige Dinge wie eine kaufmännische Krankenkasse zur Welt bringen kann.

Die Frau hinter dem Tresen schaut mich erwartungsschwanger an und selbiges erinnert mich an meinen Auftrag.

»Ich bräuchte einen Gutschein für einen Kaiserschnitt.« Jetzt verschwindet das Lächeln aus dem Gesicht der hannoveranischen Krankenkauffrau.

»Oh«, sage ich beim Betrachten ihrer verwirrten Züge, »natürlich nicht für mich, sondern für eine… – das werden Sie sich wahrscheinlich schon gedacht haben«, ich senke die Stimme, »…für eine Frau!«

»Ja, ist es denn zu fassen?« schallt es von der Dame vom Tresen durchs Großraumbüro, »für eine Frau? Einen Kaiserschnittgutschein für eine Frau? Und Sie sind sich da wirklich sicher?«

Nun drehen sich einige Schreibtischköpfe in unsere Richtung.

»Und ob ich mir da sicher bin«, sage ich, »wenn’s ein Pferd wäre, ginge ich bestimmt nicht zur Krankenkasse Hannover, selbst wenn die Stute ein Hannoveraner wäre! Oder sind Sie dann doch zuständig?«

»Nur falls das Pferd eine kaufmännische Ausbildung hat«, sagt die Dame und findet ihren Humor wieder, »aber Gutscheine gibt’s hier schon mal gar nicht, wir sind hier doch nicht bei Kaisers oder so.«

»Ach, übernimmt Kaisers denn neuerdings die Kaiserschnitte?«, denke ich, frage dann, ob es der Sache dienlich wäre, wenn ich nun ein paar Treuepunkte vorlegen würde.

»Junger Mann, was wollen Sie?« knurrt es nun vom Tresen.

»Was ich möchte? Ich möchte, dass Sie fünfzig Mal junger Mann hintereinander sagen, bis Sie dann selber glauben, es stünde einer vor Ihnen«, denke ich, aber es ist wohl an der Zeit, sich etwas behördlicher auszudrücken. Ich will die angespannte Lage nicht noch weiter verkomplizieren und suche nach den passenden Worten.

»Eine Kostenübernahmebescheinigung! Ich bräuchte eine Kostenübernahmebescheinigung für diese Dame.« Mit diesen Worten lege ich die Krankenkassenkarte meiner Arbeitgeberin auf den Schreibtisch und die First-Lady der KKH beginnt zu verstehen. Dann kommt Bewegung ins Spiel. Sie eilt an einen der Schreibtische, bespricht sich mit einem Glatzkopf im besten Alter, natürlich sehr drahtig, wie es sich für einen Kassenangestellten gehört, und dann bittet sie mich, für einen Augenblick Platz zu nehmen.

Illustration: Josh Baumann

Während ich nun Däumchen drehe, eilt sie an ihren Empfangstresen zurück und bearbeitet ihre Tastatur. Ich bemerke allerdings genau, dass sie mich aus den Augenwinkeln weiter beobachtet.

»Und?« fragt sie plötzlich aus dem Nichts, »sind Sie der Vater?«

»Ach i wo«, sage ich, »ich weiß doch gar nicht, wie das geht.«

Wir lachen beide und dann kommt der Drahtige mit einem Stück Papier auf mich zu.

»Ihr Gutschein«, sagt er grinsend und verschwindet wieder an seinen lichtüberfluteten Schreibtisch.

»Na dann darf das Kind ja endlich raus, da wird sich die Mutter aber freuen«, sage ich, stecke das Papier ein, und verabschiede mich. Beim Rausgehen ruft mir die Empfangsdame noch hinterher, meine Treuepunkte könne ich trotzdem bei ihr abgeben.