Thilo Bock: Blindtext

Blinddates sind ja voll der Trend im Zeitalter der Vereinzelung am Computer, Menschen verchatten ihre Zeit und verabreden sich dann nachts mit Fremden auf Autobahnparkplätzen. Wie aber soll ich zu einem Autobahnparkplatz kommen, so ganz ohne Auto? Und trampen tue ich nicht, da müsste ich ja bei einem Fremden ins Auto steigen, wo ich doch schon nie Taxi fahre, weil ich nicht weiß, worüber ich mich mit dem Fahrer unterhalten soll, nee, nee, ich will lieber ein klassisches Blinddate haben und zwar mit einer richtigen Frau und nicht mit einer aus dem Internet, denn die Frauen, die ich bis jetzt so im Internet gesehen habe, die waren meistens ziemlich spärlich bekleidet, und auch wenn ich im Grunde nichts gegen spärlich bekleidete Frauen habe, könnte ich mich so schlecht auf ein unverfängliches Gespräch konzentrieren neben einer Halbnackten, und außerdem, wer sagt mir, dass die Frau echt ist, wenn sie aus dem Internet kommt?

Es soll ja inzwischen Gummipuppen geben, die total real wirken, nur unterhalten kann man sich nicht mit ihnen, nicht mal verfänglich. Ich möchte lieber eine richtige Verabredung mit einer mir Unbekannten! An einem Ort, wo man einander sehen kann. An der Weltzeituhr zum Beispiel. Sich an einer Uhr zu verabreden, fand ich als pünktlicher Mensch schon immer ganz gut, denn dann traut sich ja keiner, zu spät zu kommen. Ich würde aber auch warten. Nur auf wen? Ich stelle Flyer her und lasse sie über den Alex fliegen. Welche Frau will mich treffen? wird da drauf stehen, du solltest nicht blind sein, denn ich bin durchaus sichtbar. Sei heute um fünf an der Weltzeituhr, ich bin es auch und ich trage eine grüne Flasche bei mir.

Nach einer Woche gebe ich mein Projekt Blinddate auf, jedenfalls vorerst. Keine hat mich angesprochen. Wenn ich mal angesprochen wurde, dann nur von Männern, und die wollten bloß ne Kippe haben oder etwas Kleingeld. Ich aber konnte ihnen lediglich einen Schluck aus meiner Flasche anbieten, denn wäre ich im Besitz von Kleingeld gewesen, hätte ich auch mehr als bloß zehn Flyer hergestellt. Alle anderen Wartenden, die an der Weltzeituhr rumgestanden haben, sind irgendwann von jemanden abgeholt worden. Dabei war da gar nicht immer Wiedersehensfreude im Spiel, viele schienen sich nie zuvor gesehen zu haben, die haben einfach gefragt: Bist du’s, und dann sind sie miteinander mitgegangen. Das sollte ich vielleicht auch mal versuchen.

Illustration: Josh Baumann

Gehe einfach zu Weltzeituhr und frage eine Frau, die nach was aussieht – am besten nach Frau – ob sie’s ist. Die erste sagt: Das glaub ich kaum. Da sage ich zurück: Mit Glauben kommt man aber nicht weiter, es sei denn in der Kirche. Da sagt sie: Du hältst Dich wohl für witzig? Nein, sage ich, alles nur nicht das. Ich bin nämlich weder witzig noch lustig, ich bin allenfalls komisch. Da muss sie lachen und ich habe die Pointe nicht verstanden. Plötzlich guckt sie ganz freundlich und über meine Schulter hinweg. Ich guck auch dorthin. Da steht ein Mann, groß wie ein Baum, ich will nicht, dass der hier Wurzeln schlägt. Er fragt, ob ich die Frau belästige. Ich sage: Nein, noch nicht. Aber mich hatte er gar nicht gefragt. Und jetzt hört er mir nicht zu. Wie unhöflich ist das denn? Ich dagegen bleibe höflich und bitte den Mann zu gehen, denn sonst … Weiter komme ich nicht, denn weiter weiß ich nicht. Es entsteht eine peinliche Pause. Die Frau fragt, was denn dann sonst passiere. Ich sage, das ist egal, denn soweit wollen wir’s doch nicht kommen lassen. Doch, sagt die Frau, mich würd das schon interessieren. Den Mann aber interessiert das nicht. Er sagt: Komm, Schatz, lass den Idioten doch Idioten sein. Darauf frage ich die Frau, was sie denn von einem Typen wolle, der von sich in der dritten Person redet. Wie meinste das denn? will der Mann vor mir wissen. Ich spreche aber lieber zu der Frau. Siehste, sage ich, ganz schön schwer von Kapee, der Kerl. Auch er redet jetzt nur noch mit der Frau, fragt: Warum beschäftigen wir uns eigentlich mit so nem Suffkopf? Suffkopf, meinste damit etwa mich? will ich wissen, bloß weil ich ne Flasche Bier in der Hand halte? Na ja, auch, sagt der Mann. Da werfe ich ihm die Flasche vor die Brust, war sowieso längst leer. Das überrascht ihn so sehr, dass er die Flasche auffängt. Suffkopf, sage ich zu ihm, doch er sagt nichts. Stattdessen spricht nun eine neue Frau zu uns. Na ja, ganz neu scheint sie nicht mehr zu sein, doch in diesem Gespräch schon. Eigentlich spricht sie eher den neuen Suffkopf an. Ist der von dir? sie hält einen zerknitterten Zettel in der Hand, es ist einer meiner zehn Blinddateflyer. Das erkenne ich sofort, im Gegensatz zum Angesprochenen, der deshalb auch verneint. Aber ne grüne Flasche trägst du! Sie lässt nicht locker. Die ist aber leer, sagt er. Macht nichts, sagt sie, ich hab noch ein paar Pullen zu Hause im Kühlschrank, wenn es Dich nicht stört, dass die braun sind. Das ist okay, sagt er und guckt zu der Frau, die zuerst da war. Die guckt auch. Fragt: Und was ist mit mir? Für dich reichts auch noch, sagt die Frau, die hinzukam. Und ich? frage ich. Die zweite Frau schaut mich an. Ach, bleib mal lieber hier, sagt sie. Aber…, sage ich. Probier’s mal mit nem Blinddate, sagt die Frau, die zuerst da war. Okay, sage ich, guter Tipp, danke. Nichts zu danken, sagte der andere Mann und entfernt sich mitsamt den Frauen und die Flasche nimmt er auch mit. Hey, rufe ich, da ist Pfand drauf. Geht klar! hör ich ihn noch sagen.