Jochen Schmidt: Die Rache der Servicekräfte

Wie jeder weiß, macht Arbeit im Kapitalismus unglücklich und führt letztlich zum Tod oder sogar zur Impotenz. Als Mensch wird man nur noch wahrgenommen, wenn man den reibungslosen Ablauf der Geschäfte stört. In jedem Beruf haben die Angestellten Wege gefunden, ihre Würde zu bewahren. Sie nutzen die geringe Macht, die ihnen ihre Stellung verschafft, um an sich zu erinnern. Ich freue mich immer über Menschen, die sich noch nicht aufgegeben haben an das System, und deshalb ihre Arbeit schlecht machen und Sand ins Getriebe der Globalisierung streuen.

Der Bauarbeiter hat sich vom vorigen Tag eine Schubkarre mit Schutt aufgehoben, um sie am Morgen in aller Frühe in die Röhre am Gerüst zu kippen. Ich kann ihn verstehen, warum sollen andere schlafen, wenn er schon arbeiten muss? Er will im Grunde nur geliebt werden. Auch dass er manchmal in den flüssigen Beton pinkelt, damit die Wand später stinkt, ist ein menschlicher Reflex, schließlich wird er sich so eine teure Eigentumswohnung, wie er sie bauen muss, nie leisten können. Eine Spur seiner Existenz dringt auf diesem Weg über ihre Nasen in die Köpfe derer, die denken, sie könnten sich für Geld alles kaufen.

Weil ich nach dem Getöse nicht mehr einschlafen kann, lese ich ein Buch, das mir geborgt worden ist. Aber der Autor lässt alle Figuren am Ende bei der Explosion eines Teddybären sterben. Nur deshalb sehe ich auf dem Umschlag nach, wie er eigentlich heißt.

Nach dem Aufstehen schalte ich den Computer ein, um an einem Text zu arbeiten. Aber der amerikanische Informatiker, der das Betriebssystem programmiert hat, hat im Programmcode einen Fehler eingebaut, den nie jemand bemerken wird und der aber ab und zu zum Absturz führt. Ich hatte auch mal Träume, will er damit sagen.

Ich öffne den Briefkasten, aber der Briefträger hat wieder nur Rechungen gebracht und die erfreulichen Briefe zurückbehalten. Für das Geld, das er bekommt, kann man allerdings auch nichts anderes erwarten. Ich würde ihn ohne seine Uniform auf der Straße ja gar nicht wiedererkennen.

Ich werfe einen Blick in die Zeitung, mein Artikel ist erschienen, aber der Redakteur hat meinen Namen mit dem eines anderen Autoren vertauscht. Das soll mir eine Lehre sein, nicht zu eitel zu werden. Der Redakteur würde auch lieber Texte schreiben, statt meine zu korrigieren.

Ich steige aufs Rad, aber es hat schon wieder einen Platten. Der Fahrradmonteur hat zwar den Schlauch gewechselt, aber den Nagel im Mantel gelassen. Er kann nichts dafür, seine Frau geht fremd, und sein Beruf erlaubt es ihm nicht, seine Gefühle auf andere Art auszudrücken.

Illustration: Josh Baumann

Ich nehme also den Bus und der Fahrer bremst schärfer als nötig und hält so, dass wir beim Aussteigen in eine Pfütze treten müssen. Hätte er das nicht getan, wir hätten nie über ihn nachgedacht.

Am Bahnhof bucht die Fahrkartenverkäuferin für mich Plätze, bei denen ich rückwärts zur Fahrtrichtung sitzen muss. Recht hat sie, wie ein Sklaventreiber hatte ich mit den Fingern auf die Tischplatte getrommelt, als sie sich mit ihrer Kollegin unterhielt. Draußen beobachte ich, wie der Verkehr stockt, weil Polizisten mit Blaulicht die Kreuzung überqueren und alle warten müssen. Keiner kann Polizisten leiden, aber wir sind es, die sie mit unserer Verachtung zu dem gemacht haben, was sie sind.

Der Fotograf lichtet mich so ab, dass ich auf den Passbildern ein rotes, aufgedunsenes Gesicht habe. Soll ich doch zu einem Künstler gehen, wenn es mir nicht passt.

Bei H&M beobachte ich, wie eine Verkäuferin einer reichen, älteren Frau schlecht sitzende Hosen und einen Pullover mit hässlichen Farben empfiehlt. Ich muss schmunzeln, denn diese Frau hat es nicht besser verdient. Wer so reich ist, muss irgendwann im Leben mal über Leichen gegangen sein.

Wegen einer Impfung gehe ich zum Arzt und beobachte, wie er sich, bevor der Patient reinkommt, in die Hand hustet, die er ihm gleich hinhalten wird. Er will uns einfach bald wiedersehen.

Die Krankenschwester trifft beim Blutabnehmen mit der Nadel mehrmals meine Vene nicht. Sie ist eben auch keine Maschine.

Mit meiner Tochter gehe ich zum Märkischen Museum, aber die Braunbären bleiben in ihrer Höhle. Nie habe ich sie so vermisst.

Wir gehen einkaufen, die Kassiererin lässt das Band erst weiterlaufen, als sie den Kunden vor mir abkassiert hat, und fordert mich auf, die Tasche im Korb hochzuheben, als sei ich ein Ladendieb. Wenn es mir nicht passt, kann ich ja mal einen Tag ihre Arbeit machen. Beim Kunden vor mir hat der Tätowierer übrigens ein Wort falsch geschrieben.

Abends gehe ich ins Kino, aber der Filmvorführer hat den Film mit Absicht falsch eingestellt, so dass wir minutenlang die Köpfe der Schauspieler unter ihren Körpern sehen. Bis dahin hatte ich gar nicht gewusst, dass es hier einen Filmvorführer gab. Ich fühle mich schuldig. Ich muss ans Theater denken, wo ich neulich gesehen habe, wie die Schauspieler beim Rezitieren die in der ersten Reihe sitzenden Bonzen anspuckten. Mir war warm ums Herz geworden.

Nach dem Kino gehe ich in eine Stripbar, aber die Stripperin verlässt die Bühne, bevor sie sich ganz ausgezogen hat. Das versetzt uns in die Stimmung, die Regierung zu stürzen.

Der Amokläufer, dem ich nachts auf dem Heimweg begegne, sucht ein möglichst harmloses und sympathisches Opfer, um die Öffentlichkeit maximal zu schockieren. Seine Wahl fällt natürlich auf mich, was ich als Kompliment auffasse.

Weil sie wegen mir Überstunden machen mussten, benutzen meine Bestatter meine Urne als Aschenbecher. Aber da ich selbst nur noch aus Asche bestehe, fühlt es sich gar nicht mal so unangenehm an.