Sarah Schmidt: Das Bastel-Ich

Letztlich hatte meine Freundin Irina Geburtstag. Das ist weder überraschend noch ungewöhnlich, denn im Großen und Ganzen passiert das jedes Jahr. Überraschend war meine Idee zu ihrem Geschenk. Plötzlich dachte etwas in mir, das dort eigentlich nicht hingehört: »Mensch, ich bastele der Irina einfach mal was!«

Ich weiß nicht, wie ich auf diesen Gedanken gekommen bin, denn Basteln gehört definitiv nicht zu meinen Stärken. Schon als mein Sohn noch klein war, musste ich das feststellen. Ich bin völlig unfähig, aus Kastanien und Streichhölzern kleine Tiere zu gestalten, ich kann weder Autos noch Menschen und auch keine Elefanten malen.

Nur Eisenbahnwaggons, die bringe ich astrein aufs Papier. Die Aufforderung »Mama malen!« brachte nicht enden wollende Güterzüge hervor. Durch das Erzählen, was alles Unterschiedliches in diesen Waggons transportiert wird, konnte ich diese Nachmittage halbwegs abwechslungsreich gestalten. Dass man nichts, aber auch gar nichts von diesen spannenden Dingen sehen konnte, erklärte ich mit staatlicher Geheimhaltung. Erik wuchs lange in dem Glauben auf, der Inhalt von Eisenbahnen wäre mit das Geheimste, was auf der Welt existiert. Trotzdem wurde ihm dabei bald schon langweilig und das war auch der Grund, warum ich ihn ganz früh in einen Kindergarten brachte. Dort haben die Erzieherinnen über Jahre unseren Weihnachts- und Osterschmuck gebastelt, haben mir zum Muttertag kleine Kunstwerke aus Glanzpapier gefertigt, eben all diese Sachen, die für ein harmonisches Familienleben unerlässlich sind.

Und jetzt wollte ich also für Irina etwas basteln. Ein selbst gemachtes Fotoalbum mit all den Bildern, die von unserer langen Freundschaft erzählen. Schon beim Gedanken, wie Irina sich darüber freuen wird, kamen mir vor Rührung die Tränen. Ach, ich bin doch die beste Freundin, die man sich nur wünschen kann! Was hat Irina für ein Glück mit mir!

Ich kaufte also ein Album und sortierte die Fotos, die ich auf meinem Computer sammle. Auf erstaunlich vielen davon sieht Irina furchtbar aus. Auf manchen sogar ich. Die Bilder, die schließlich in Frage kamen, waren über- oder unterbelichtet, verwackelt oder es waren andere Freundinnen von Irina mit im Bild und das wollte ich nicht. Ich wollte schließlich ein Album über unsere Freundschaft und nicht über die, die Irina mit anderen Frauen pflegt.

Zehn Bilder blieben übrig. Ganz schön wenig für fast 25 Jahre Freundschaft. Viel zuwenig für das große Album, dass ich gekauft hatte. Ich besorgte ein neues Album, ein kleines, feines und sehr teures und war erst einmal erschöpft. Mannomann, dieses Basteln ist ganz schön anstrengend. Aber ich wollte nicht aufgeben. Also lud ich mir als nächstes ein Bildbearbeitungsprogramm auf meinen Computer, mit dem ich Fehler in der Belichtung ausmerzen könnte und überflüssige Menschen ausschneiden. Das macht doch heutzutage jeder Depp, Fotos retouchieren ist nicht mehr unehrenhaft sondern ganz normal.

Programm entpackt, installiert und geöffnet. Hoh-hoh-hoh, was war das denn? Ungefähr 80 verschiedene Symbole, und Zeichen und Filter und Fremdwörter. Lassos und Zauberstäbe und Stifte und Pixellupen und Schraffierungsgerätschaften. Tage, vor allem aber Nächte verbrachte ich damit, dieses Programm ansatzweise zu verstehen. Fünf Bilder hatte ich dabei falsch gespeichert. Die waren jetzt zwar höchst künstlerisch gestaltet, dadurch jedoch auch völlig unkenntlich. Blieben die restlichen fünf.

Da mussten zuerst die roten Meerschweinchenaugen weg. Die fing ich alle mit dem Lasso ein. Ganze eineinhalb Tage verplemperte ich damit, einen einzigen winzigen Augenring, unter einem, jetzt wie ein schwarzes Teddybärglasauge aussehenden Irinaauge zu retouchieren. Dann rief Irina an, um mir mitzuteilen, dass sie beschlossen habe, dieses Jahr ihren Geburtstag ausfallen zu lassen. Sie wolle nicht feiern. Sie sei deprimiert, weil sie immer älter werde.

»Du feierst!« schrie ich sie an.

»Nein, ich will aber nicht.«

»Doch, willst Du wohl!« Sie fing an zu weinen, aber ich konnte kein Mitleid empfinden. Was bildete die sich ein, nicht feiern zu wollen, obwohl ich seit Tagen, ach Wochen, mit nichts Anderem als ihrem blöden Geburtstag beschäftigt war. Nach einer Dreiviertelstunde zog ich mein letztes Ass aus der Tasche.

»Wenn Du nicht feiern willst, dann organisiere ich für Dich eine Überraschungsparty.«

»Das meinst Du nicht ernst, Sarah!«

»Todernst!«

»Nein, bitte nicht.«

»Also? Feierst Du jetzt von selbst oder muss ich...?« »Nein, nein, bitte nicht, dann mach ich eben eine Party. Aber nur eine ganz kleine.«

Na bitte, es geht doch. Manchmal muss man die Menschen zu ihrem Glück zwingen.

Die Fotos, die ich ausgesucht und bearbeitet hatte, sahen überraschenderweise großartig aus. Jetzt nur noch ausdrucken, einkleben, ein paar launige Bildunterschriften finden und schon habe ich mal wirklich was Tolles gebastelt. Dass ich dazu eine neue Druckerfarbpatrone und teures Fotopapier kaufen musste, war mittlerweile völlig nebensächlich. Insgesamt habe ich 75 Euro für dieses Geschenk ausgegeben. Was ich ihr dafür alles hätte kaufen können! Auch die weitere Hürde der richtigen Größenauswahl hatte ich nach circa 20 Fehldrucken genommen. Und dann klebte ich die Bilder auf den schwarzen Fotokarton. Zumindest die ersten beiden. Das dritte – ich weiß nicht wie es geschehen konnte – klebte plötzlich von alleine auf dem zwischen die Seiten gebundenen Spinnwebenpapier. Ganz, ganz, ganz fest. Ich riss die Seite raus. Na toll, jetzt sieht es echt selbst gemacht aus. Dann stellte ich fest, wie gut man Staub, der in der Wohnung herumfliegt, mit Klebestiftfingern auffangen und in ein zufällig herumliegendes Album kleben kann. Dass, wenn man mit vermeintlich klebstofffreien Fingern über ein Bild wischt, man genau sehen kann, ob nicht doch noch etwas von dem Zeug an den Fingern haftete. Dass Wasser, mit dem man den Klebstoff zu entfernen versucht, sich überhaupt nicht mit Drucktinte verträgt. Dass meine Handschrift, wenn ich versuche mit einem goldenen Stift auf schwarzen Karton zu schreiben, unter aller Sau ist. Dass man aus Versehen sogar ein einfaches Wort wie »Freundschaft« falsch schreiben kann und es dann wirklich total blöde aussieht. Dass ich dieses Album auf keinen Fall verschenken werde, weil es aussieht, als wäre eine Fünfjährige am Werk gewesen.

Ich schenkte Irina stattdessen eine Creme gegen Augenringe für vier Euro neunundneunzig und so verheult, wie sie an ihrem Geburtstag aussah, konnte sie die auch wirklich gut gebrauchen.