Thilo Bock: Ich will keine Familie, ich will bloss ein Kind

Ich will auch ein Kind, schon um jemanden zum Bierholen zu haben. Problem dabei: Ein Kind kriegt man in der Regel nicht allein, das weiß sogar ich, und es dauert zudem viel zu lange, bis es endlich da ist. Es ist generell nicht leicht, eine Frau bei Laune zu halten und dann gleich neun Monate lang, das hält doch kein normaler Mann aus, ich jedenfalls nicht. Neun Monate und nur eine einzige Frau, die dazu auch noch schwanger ist, das kommt da ja erschwerend hinzu, nein danke, kein Bedarf.

Ich nehm mir lieber ‘ne Frau, die schon Kinder hat, am besten eine mit ganz vielen Kindern, der fällt bestimmt nicht auf, wenn ich ihr eins davon stibitze. Da ist eine, die arbeitet bei mir um die Ecke, ‘ne ganz hübsche, aber ein bißchen überfordert. Ich seh die öfter mit ihrem Minitrupp die Straße entlang ziehn, sie stets ganz hinten mit den trödeligen Kids, während vorneweg immer die Fixen sind. Denen ruft sie andauernd hinterher: »An der Ampel wartet Ihr aber mal!« Wäre also ein Leichtes für mich, dort zu lauern und mir im rechten Moment eins dieser fixen Kinder zu schnappen.

Nur, wer will schon ein Kind von der Straße? Ich geh lieber dorthin, wo die Kinder herkommen, nämlich zum Kinderladen um die Ecke und such mir eins aus. Nein, einpacken ist nicht nötig, ich will‘s gleich allen zeigen. Das ist auch ein Vorteil an einem Fertigkind: Man weiß gleich, was man hat. Mit dem Selbermachen ist das echt so ‘ne Sache, kennt man ja vom Töpferkurs: Es macht total Spaß, aber wenn man die Vase dann zu Hause neben die gekauften stellt, sieht man den Unterschied schon, und bei ganz großem Pech ist sie nicht mal richtig dicht. Da steckt man dann Trockenblumen rein. Immerhin ist es ein selbstgemachtes Stück, da ist man schon stolz drauf, aber wenn Besuch kommt, dann wird‘s doch lieber weggeschlossen.

Bei Kindern kann einem das auch passieren. Man mag sie, weil sie aus eigener Erzeugung sind, aber peinlich sind sie einem mitunter schon, weshalb man sie dann unauffällig vor‘m Biomarkt anbindet und hofft, dass sie weder schreien noch die Hunde der anderen Kunden belästigen. Nee, ein Kind aus dem Kinderladen wäre mir eindeutig lieber. Doch im Gegensatz zum Selbermachen bekommt man ein Fertigkind nur, wenn die Frau weg ist. Und außerdem will ich ja nur das Kind, nicht die Frau, denn wozu brauch ich ‘ne Frau, wenn ich ein Kind haben kann?

So ‘n Kind will nicht andauernd Sex von einem oder die Nächte in der Disco verbringen, jedenfalls nicht mit seinem Erziehungsberechtigten. Und wenn man ein Kind mal so richtig schick ausführen will, wird‘s nicht so teuer, da reicht ein Happy Meal bei McDonald‘s.

Weshalb ich im Kinderladen angerufen habe und mich gegenüber der Erzieherin, sie heißt übrigens Heike, ausgegeben habe als ein Mitarbeiter des Streichelzoos am anderen Ende der Stadt, da war die Gruppe nämlich am Vormittag. Ich behaupte, der kleine Lukas sei noch bei den Tieren und jetzt ganz traurig und sage die ganze Zeit, er gehöre zu den Wichtelzwergen, so heißt doch Ihre Gruppe, oder? »Jaja«, sagt daraufhin Heike, ihre Stimme klingt besorgt, »aber ich habe doch durchgezählt!«

»Sie müssen doch wissen, ob Ihnen ein Kind fehlt«, sage ich streng. »Ja, schon, aber ich habe gerade keinen Überblick, wir haben mehrere Lukasse.« Genau das hatte ich mir gedacht. Denn Lukas heißen sie alle, vor allem, wenn sie Jungs sind und nicht Jan oder Tim genannt worden sind. »Holen Sie den kleinen Lukas nun ab?« frage ich.

»Ich kann doch die anderen Kinder nicht alleinlassen!« Heike klingt echt etwas verzweifelt.

»Ich kann auch die Eltern anrufen«, sage ich.

»Nein, nein, ich komme ja!« sagt Heike und legt auf.

Wenig später verlässt sie hastig den Kinderladen. Ich habe also freie Bahn. Als ich die Kinder begrüße, mustern sie mich neugierig.

»Was bist Du denn für ein Onkel?« fragt ein Mädchen.

»Ich bin ein Papa«, sage ich.

»So ein Papa, wie meiner?« fragt ein blondköpfiger Junge mit niedlichen Sommersprossen.

»Wer weiß?« sage ich, »ich bin ein toller Papa, wer von euch hätte denn gerne einen tollen Papa?« Die Nachfrage ist eher zurückhaltend. Offenbar haben hier alle tolle Väter, jedenfalls welche, die sie für tolle Väter halten. »Einer von Euch darf mich als Papa haben«, sage ich unbeirrt. Die Kinder sehen mich interessiert an. »Bei mir dürft Ihr so viel Cola trinken, wie Ihr wollt!« verspreche ich. Murren.

Illustration: Elke Pollack

»Cola ist doch blöd und ungesund«, sagt darauf ein Mädchen mit großer Zahnlücke, »Bionade ist viel besser.«

»Na gut«, sage ich, »wie wär‘s mit Fernsehen? Fernsehen so lange Ihr wollt?!« Die Kinder sehen mich verständnislos an. »Meine Mama sagt, Fernsehen macht doof!« höre ich. Allgemeine Zustimmung.

»Ihr seid ja blöd«, sage ich, »Fernsehen ist voll gut und man darf sowieso nicht alles glauben, was Mama und Papa sagen.«

»Bist Du nicht auch ein Papa?« fragt eins der Kinder. Verdammt, denke ich, Akademikerbrut. Nächster Versuch: »Wer mich als Papa nimmt, mit dem geh ich jeden Tag zu McDonald‘s!« Herrje, so wie die Kinder mich jetzt ansehn, fühle ich mich selber wie ein im Regen vergessener Big Mäc. »Ihr müsstet bei mir auch nie in die Schule!« verspreche ich.

»Wir wollen aber in die Schule!« rufen die Kinder, »wird langsam Zeit, wir sind nämlich schon fünf.«

Da sehe ich es ein, diese Kinder haben einen Vater wie mich gar nicht verdient. Resigniert wende ich mich zum Gehen. Als ich gerade die Tür hinter mir schließe, steht Heike vor mir, das ging ja schnell.

»Was wollen Sie hier bei den Kindern?« Heike klingt reichlich ungehalten.

»Nichts will ich«, sage ich, »und Bierholen? Das kriege ich gerade noch selber hin!« Und das mache ich dann auch.