Udo Tiffert: Nicht gekämpft, ist auch gelebt

Du kannst Kämpfen aus den Weg gehen, als Kind deine Förmchen wehrlos hergeben, du kannst als Schüler andere kostenlos abschreiben lassen, als Jugendlicher vor der Disco aufs Maul kriegen und einfach, Taschentuch an der Nase, weggehen.

Du kannst auch auf Grund einer Indiskretion eines Kollegen deinen Job verlieren und dein erster Traum mit Tötungsabsicht – wirklich der erste? – wurde um ein Fünfzigstel wahr, als du ihm auf dem Firmenparkplatz beide Rückspiegel abgetreten hast. Nun bekommst du ein Jahr lang Arbeitslosengeld. Zwar war es ein anspruchsloser Job, aber dir hatte jede der acht Stunden Leid getan. Acht Stunden täglich hingegeben, nur für den Stolz der Eltern, Schwiegereltern und das mit der Ehefrau gemeinsame Konto. Acht Stunden ohne Freude, Erlösung existiert nur am Lebensende.

»Wir trennen uns im gegenseitigem Einvernehmen, Schmidt-Thurgau«, hatte der Bereichsleiter Mitteldeutschland gesagt, »Hören Sie zu: Sie prozessieren nicht und wir notieren den unschönen Vorfall nirgendwo. Billiger kommen Sie auf keine Fall…« Du hattest sofort unterzeichnet. Deine Hand hatte gezittert, dein Herz jedoch die ersten ruhigen Schläge geprobt. Dein Organismus erlernte leicht, dass 70 Schläge pro Minute völlig ausreichen. Nie warst du ein Kämpfer, du straftest die Menschen mit Fernbleiben.

Obwohl deine Rundmail an die Kunden mit einem unabhängigen Gutachten eurer Firmenleistung schon eine gewisse Frechheit war … dafür wird man andernorts an einer Ampelkreuzung von einem schwarzbehelmten Motorradfahrer erschossen.

Was? Du warst das nicht? Die Rundmail wurde nur von deinem Rechner aus…? Schade.

Um diese Zeit etwa starb die Großmutter und ihr kleines Häuschen brauchte neue Balken. Du bezahltest einen Zimmermann, kontrolliertest seine Arbeit, fegtest die Späne zusammen, bliebst in dem Häuschen. Durchzug entnahm den Räumen den Geruch der Rheumasalbe. Deine Frau sagte, sie fühle sich nicht enttäuscht, eher bestätigt. Ihr Verhältnis mit einem der drei Geschäftsführer von Crimmitschau-Abwasser-Consult zu verbergen, hielt sie schon seit Monaten nicht mehr für nötig.

Nie wolltest du Ärger, aber gefühlt hast du ihn immer. Wo bist du denn damit hin? In welches Hinterstübchen hast ihn verplombt? Hast du irgendwo geschrieen, gekotzt, geturnt? Unschöne Worte mit V und F am Anfang gebrüllt? Hast du den Ärger meditativ in Seidenmalmotive gewandelt? Dir Krebs eingehandelt, andere Geschwüre oder schlimmer noch: ein Buch geschrieben? Wo bist du mit dem Ärger hin? Es muss doch Wut gegeben haben!

Dann dieser Sommertag an von regenlosen Wochen ausgetrockneten Feldern. Du mit dem Fahrrad auf der Landstraße. 500 Meter voran pflügte ein Trecker, eine dichte Staubwand hinter sich herziehend. Sachter Wind, der die Staubwand auf die Straße schob. Der Trecker pflügte. Du radeltest darauf zu. Der Trecker pflügte. Du fuhrst. Du würdest die Straße nicht verlassen. Du hast ein Recht, sie zu benutzen! Aber in der Staubwand würde es keinen Sauerstoff mehr geben, keine Sicht, keine Hoffnung. Der Staub würde deine Lunge füllen, nie wieder würde diese Lunge dann deinem Blut Sauerstoff beimengen! Der Trecker pflügte. Du tratst in die Pedalen. Du würdest nicht umkehren. Zu oft bist du umgekehrt, hast nachgegeben, die andere Wange geschützt. Nein, dieses Mal lebst du geradeaus, ohne Zögern, ohne Ausflüchte, straight on! Mal muss es krachen. Der Trecker pflügte. Du radeltest, als wäre dies alles nichts. Noch 50 Meter. Der Trecker pflügte, fütterte die Staubfahne. Du ließt die Speichen glänzen. Was für ein Ende! Nicht Licht am Ende des Tunnels, Staub wird es sein, Staub, jahrelanger Staub, wer eher stirbt ist länger tot. Die Guten gehen zuerst. Janis, Jim und Jimi. Curt und Rio. Nun du. Das Haus hattest du nicht abgeschlossen, heute nicht, hattest wohl so eine Ahnung. 30 Meter. Der Treckerfahrer stoppte. Grüßte dich mit einem Nicken. Wind riss ein Loch in die Staubwand. Eine Furt. Hinter dem Licht der Furt, dasselbe Licht. Zum nächsten Dorf. Du radeltest weiter. Was für ein Licht, um zu sterben. Die Guten sterben früh und du wärst um ein Haar dabei gewesen. Aber du tratst mit ungestorbenen Füßen, ungestorbenem Geist die Kurbel, dachtest: Ach, jetzt paar Bier kaufen ist auch nicht schlecht.