Paul Bokowski: Weddinger Urgestein

1.

An der Kasse der Schreibwarenabteilung im Karstadt am Leopoldplatz. Von links kommt eine ältere Dame herangewandelt. Mit fragender Stimme wendet sie sich an die Kassiererin: »Haben Sie keine Glückwunschkarten zur goldenen Hochzeit mehr?«

Die Kassiererin antwortet ohne aufzuschauen: »Wenn da drüben nichts steht, haben wir wohl keine. Kommt ja auch nicht mehr so häufig vor heutzutage.«

»Nee. Heute nicht mehr«, entgegnet die alte Dame mit einem Früher-war-alles-besser-Ton in ihrer Stimme.

»Haben Sie mal bei den Karten zur Silbernen geschaut?«, fragt die Kassiererin.

»Ja, da sind auch keine.«

»Na warten Sie mal«, sagt die Kassiererin und ruft zu einer Kollegin quer durch die gesamte Schreibwarenabteilung: »Haben wir noch Glückwunschkarten zur goldenen Hochzeit?«

»Schau mal bei den Trauerkarten. Wir ordnen die immer chronologisch.«

2.

Tramhaltestelle. Ein Gruppe 14jähriger Mädchen läuft vorbei, mit Klemmbrettern in der Hand, und stellt sich im Halbkreis um eine alte Dame.

»Ey Entschuldigung. Wir machen eine Umfrage für unsere Schule zum Thema Internet.«

Die Angesprochene lacht leise in sich hinein: »Ach, mit dem Internet«, sagt sie, »hat jemand wie ich doch nichts mehr zu tun.«

Die Mädchen ignorieren die Aussage der alten Frau und beginnen von ihren Klemmbrettern abzulesen.

»Ey ham sie einen Internetanschluss?« fragt die Erste.

»Nein, nein«, sagt die alte Dame und kichert wieder ein bisschen in sich hinein.

»Ham sie in den letzten 4 Wochen das Internet benutzt?« fragt die Zweite. 

»Ach Kinder, wisst ihr, in meinem Alter braucht man so was wirklich nicht. Ich bin doch schon 79.«

Die Mädchen schauen auf. Sie scheinen nicht so recht zu wissen, wie es weitergehen soll.

»Ey aber ärgert sie das nischt«, fragt das dritte Mädchen »dass wir det alle können und lernen und Sie nischt?«

»Ach weißt du«, sagt die alte Dame, »dafür weiß ich noch, wie man eine Flak abfeuert.«