Andreas Kampa: Die Geschäfte meiner Mutter

Weil meine Mutter immer schwerhöriger wird, schließt sie kein Geschäft mehr ohne ihren Sohn ab. Ich wünschte, sie hätte noch einen anderen Sohn. Das hatte ich ihr schon als Kind immer gesagt: »Mutti, du brauchst mehr Söhne.« Sie hat nicht auf mich gehört. Heute hört sie auf mich, obwohl sie so gut wie nichts mehr hört. Als sie ihre Waschmaschine kaufte, sagte sie zu mir: »Du musst mitkommen. Ich verstehe die Leute immer so schlecht.« Ich kam also mit und übersetzte die Ausführungen der Verkäuferin ins Schwerhörige. Die Verkäuferin sagte Sätze wie: »Mit Miele kann man nichts falsch machen.« Ich übersetzte: »MIT MIELE KANN MAN NICHTS FALSCH MACHEN.«

Vor ein paar Wochen geriet sie wieder in die Fänge einer Verkäuferin. Es ging um ein supergünstiges Angebot zum Festnetz-Telefonieren: keine Telekomgrundgebühr mehr und telefonieren, so viel man will, für 10 Euro im Monat. Meine Mutter konnte kaum glauben, was sie da hörte. Besser gesagt: Sie konnte kaum hören, was sie da glaubte. Sie sagte: »Nicht ohne meinen Sohn«, und vereinbarte mit der Verkäuferin einen Termin zusammen mit ihrem Dolmetscher.

Eine geschlagene Stunde redete diese Verkäuferin dann auf uns beide ein. Nur am Rande ging es um den Telefonanschluss. Hauptsächlich redete sie über Gott und die Welt: dass sie sich gerade erst selbstständig gemacht habe, zusammen mit ihrem Mann; was sie unterwegs alles so erlebt hätte; auch ihre politischen Ansichten, von denen sie wohl annahm, wir würden sie teilen. Ich teilte sie nicht, aber sie ließ mich nicht zu Wort kommen. Ein endloser Wortschwall prasselte auf uns ein. Allmählich begriff ich, wie diese Frau zu ihren Geschäftsabschlüssen kam. Sie redete die Kunden mürbe, bis die irgendwann aus purer Verzweiflung Verträge unterschrieben, damit das alles ein Ende nimmt. In solchen Momenten beneide ich meine Mutter um ihre Schwerhörigkeit. Nachdem die Verkäuferin gegangen war, fasste ich das Gespräch zusammen. Ich übersetzte: »DAS ANGEBOT IST GUT. NIMM ES!«

Seit Neuestem hat meine Mutter einen digitalen Kabelreceiver. Sie hatte ihn gekauft, ohne mich zu fragen, weil er umsonst war. Jetzt ist sie sich nicht sicher, ob das Gerät wirklich nichts kostet. Sie versteht ja immer nur die Hälfte. Also rief ich bei der Kabelfirma an, die das Ding geschickt hatte. Sie sagten: »Ja, es kostet nichts, sofern Sie das kostenlose Pay-TV-Probe-Abo schriftlich abbestellen.«

Ich diktierte also meiner Mutter einen entsprechenden Brief und schloss den digitalen Kabelreceiver an den Fernseher an. Gestern kam ein Anruf von Mutter. Sie sagte, sie hätte das Kabel-Gerät kaputt gemacht. In ihrer Vorstellung ist jedes Gerät, das nicht funktioniert, kaputt. Sie hat eben nie einen Computer besessen. Das war schon bei dem Navigationsgerät so. Eines Tages rief sie ganz verzweifelt an und sagte: »Das teure Navi ist kaputt. Man kann nichts mehr machen. Der Bildschirm bleibt schwarz.«

»Bestimmt ist nur der Akku alle.«

»Nein. Das kann nicht sein. Ich hatte das Navi die ganze Zeit angeschlossen.«

Wie sich dann herausstellte, war der Akku alle. Jetzt also soll der Kabelreceiver kaputt sein. Ich habe sowieso meine Zweifel, ob Mutter den je wird bedienen können. Sie ist ja auch von ihrem Handy überfordert. Neulich hat sie aus Versehen irgendwo draufgedrückt und den Tisch fotografiert. Ich sagte ihr: »Ja, das kann passieren, dass man beim Telefonieren den Tisch fotografiert.«

Das einzige neue Gerät, das meine Mutter überraschend gut bedienen kann, ist das Navi; denn das Navi bedient meine Mutter. Wenn es befiehlt: »Nach 100 Metern: Biegen Sie rechts ab!«, dann biegt meine Mutter nach 100 Metern rechts ab. Sie muss keine schwierigen Entscheidungen mehr treffen. Das Navigationsgerät ist der Sohn, den sich meine Mutter immer gewünscht hat. Ich wünschte nur, der kleine Kerl mit seinen bunten Pfeilen könnte ihr auch alle anderen Entscheidungen abnehmen.