Ahne: Nationaler Widerstand

In unserer Straße blüht es. Rosa vor allem. Dis kommt von den Bäumen. Ausländische Kirschen sind es, die in unserer Straße blühen. Kirschen, die niemals Kirschen tragen werden, die trotzdem aber Kirschen heißen. Vierzig solcher Bäume stehen in unserer Straße, geschätzt jedenfalls. Ich hätte sie sicher auch zählen können. Freunde genauerer Recherche könnten mich deshalb der Oberflächlichkeit schelten, doch mir war es nicht wichtig, wie viele Bäume es genau sind. Mir reicht vollkommen, dass man weiß, dass sie blühen, die Bäume. Dass sich Kinder daran erfreuen und Omas, Lastkraftwagenfahrer und Flüchtlinge und sicher auch, insgeheim, der ein oder andere Nazi. Natürlich nur, wenn ihn keiner der Kameraden beobachtet, wird er einen Moment lang ergriffen verweilen, wird er vielleicht zurückdenken, an seine Kindheit. Als sie bei der Oma auf dem Bauernhof waren, wo die Kuh, ja, die hat ihm mal durchs ganze Gesicht geschleckt. Mit ihrer fleischigen Zunge. Wie warm die gewesen war. Wie er sich da erschreckte, aber die Oma bloß lachte und der Pflaumenkuchen. Gab es eigentlich mal anderen Kuchen als Pflaumenkuchen bei Oma? Sein Bruder mochte ja keine Pflaumen. Sein Bruder hatte eine Allergie. Sein Bruder kriegte immer Pickel in den Armbeugen und in den Kniekehlen. Dis juckte dem entsetzlich.

Die Kameraden sagen ja, Umweltschutz wäre wichtig. Umweltschutz sei die längste Zeit ein Tummelplatz für Linke gewesen. Genau genommen ist Umweltschutz sogar, seit alters her, durch und durch völkisch. Jedes Land habe schließlich seine eigene, seine unverwechselbare Umwelt, die man genau so schützen und bewahren müsse, wie man das eigene Volk schützen und bewahren muss. Palmen hätten ebenso wenig etwas in Brandenburg zu suchen wie Koreaner. Kakteen gehörten genau wie Neger zurück nach Afrika. Oder waren Kakteen aus Amerika? Na, jedenfalls hatten sie hier nichts zu suchen, denn fremdländische Kakteen, die schleppten eben auch fremdländische Krankheitserreger ein, gegen die sich unsere heimischen Pflanzen kaum wehren können.

Die Kartoffeln zum Beispiel. Viele Kartoffeln haben ja heutzutage schwarze Stellen. Von außen betrachtet, mit Schale, da sehen sie noch ganz gut aus, aber wehe man schält die Schale ab, da tränen einem schon manchmal die Augen, so viel Stellen sieht man da plötzlich. Dis war früher anders, als noch nicht jede Familie einen Kaktus im Fenster zu stehen hatte und statt Nintendo das gute alte Mensch-ärgere-dich-nicht zum Einsatz kam. Da gab es auch noch viel mehr Störche. Bei seiner Oma war immer ein Storch gewesen. Der nistete da jedes Jahr, bis die Familie mit dem schwarzen Kind ins Dorf zog. Nicht, dass er meine, dieses Kind sei schuld am seither storchenlosen Wagenrad – das nun nicht, doch gewisse Zusammenhänge, die sind einfach nicht von der Hand zu weisen. Jetzt zum Beispiel mit der Globalisierung.

Es wird keine Rücksicht mehr genommen, auf die Unterschiede, die regionalen und, ja, auch die nationalen. Er wolle überhaupt gar nicht, dass die alle raus müssen, aber anpassen, das sei doch wohl das Mindeste, was man verlangen könne. Die Dönerbuden müssen weg. Aus, Schluss, fertig! Dis is sowieso bloß vergammeltes Fleisch da, was einem angeboten wird. Wie oft is ihm davon schon schlecht geworden? Und wie man da erst mal stinke, aus‘m Mund, am nächsten Morgen. Widerlich, einfach widerlich! Und die unterstützen ja mit ihrem Geld den Terrorismus, den internationalen, dis is ja bekannt. Hier und Kurdistan und Baskenland und wo die alle herkommen.

Illustration: K.P.M. Wulff

Viele denken noch, sie würden denen was Gutes tun, wenn sie spendeten, aber wo bitteschön, landet das denn alles?! Das landet doch in undurchsichtigen Kanälen. Geldwäsche, Korruption und wer bezahlt das? Hinterher, die Zeche?! Klar, wir Deutschen, wegen unserer Vergangenheit. Da kann man mit uns natürlich machen, was man will. Die Moralkeule als Zeigefinger erhoben und schon, bereitwillig, schämt sich der Deutsche und blecht. Dabei haben die Amerikaner auch, mit den Indianern – und China mit Tibet – und die Franzosen erst mal, mit ihren Atombombenversuchen…

Woher die wohl kommen, die Bäume? Bestimmt nicht von hier, so schön wie die sind, vermutet unser nationaler Ökoaktivist, guckt sich verstohlen um, ob ihn niemand beobachtet und dann zieht er geräuschvoll seine Rotze hoch und ault hinein, in die rosa Blütenpracht. Die Kameraden, die würden jetzt sicher johlen.