Hinark Husen: Die weisse Amsel

Viele Menschen haben mich schon gefragt, woher diese eigentümliche Begeisterung für das fliegende Federvieh bei mir herrührt. Um ehrlich zu sein, haben mich das bisher tatsächlich kaum Menschen gefragt, ich will es aber trotzdem erzählen, wobei ich zugeben muss, es wird schwer zu erklären sein, denn ich weiß es ja selber nicht genau.

Angefangen hat es zumindest, glaube ich, acht Jahre nach dem Tod von Jimi Hendrix, ungefähr in dem Jahr, als Kanzler Helmut Schmidt forderte, einen Tag in der Woche solle die Glotze in den Familien ausgeschaltet bleiben. Ich starrte also sinnlos aus dem Fenster und entdeckte dort eine gescheckte Amsel. Nicht schwarz, so wie man sie kennt, sondern hübsch weiß gesprenkelt, ein Teilalbino und irgendwie ein Vorläufer von Michael Jackson, aber besser bei Stimme. Diese Amsel faszinierte mich, weil sie etwas Besonderes war und irgendwann war unsere Bekanntschaft so weit gediehen, dass ich sie sogar individuell an ihrer Stimme erkannte. Bis zu dem Tag, als sie von einem gelangweilten Turmfalkenweibchen geschlagen wurde, was mich zunächst unglaublich wütend – und nach ein bisschen Fachlektüre – sogar sprachlos machte. Denn in den meisten Büchern wurde vermerkt, dass Turmfalken sich fast ausschließlich von Mäusen ernähren, nur in der Stadt würden sie gelegentlich auch auf Spatzenjagd gehen.

Diese Turmfalkin zumindest nistete in der katholischen Kirche, bis sie von einem Habicht geschlagen wurde, der in dem kleinen Waldstück bei der evangelischen Kirche seinen Horst gebaut hatte. Ein bisschen Konfessionskrieg, wie mir schien, ich konnte aber auch eine gewisse Freude, dass die amselfressende Katholikin Opfer eines protestantischen Überraschungsangriffes wurde, nicht unterdrücken. Der Habicht blieb viele Jahre ein guter Freund, bis er von Bauer Voßbeck beim Überflug über die Schweinewiese abgeschossen wurde.

Ich hätte mehr Verständnis für dieses Verbrechen gehabt, wäre es eine Hühnerwiese gewesen, und ich malte mir aus, wie der Habicht mit Voßbecks tragenden Sauen in den Klauen zum Horst fliegt und dann den Kirchgängern die herausgerissenen Ferkel beim Kirchgang vor die Füße fallen. So was hätte der ewig betrunkene Voßbeck mit Sicherheit gern in der Kneipe erzählt, nur er kam nicht mehr dazu, ein paar Tage nach dem Abschuss ist er mit dem Auto verunglückt, als ihm ein Rebhuhn in die Windschutzscheibe knallte. Ich nehme nicht an, das Rebhuhn wollte den Habicht rächen, es war einfach nur ein dummer Zufall. Voßbecks hatten mit ihrer Schweinezucht dann aber auch kein Glück mehr, in der gleichen Saison wurden ihre Ferkel von einem großen Rabenkrähenschwarm getötet, ausgehackte Augen überall, kein schönes Bild.

Illustration: K.P.M. Wulff

Der örtliche Naturschutzverein erklärte, es sei eine alte Legende, dass die Krähen den Lämmern und Ferkeln die Augen aushackten, nichts von dem sei wahr, worauf die alte Voßbeck-Witwe hysterisch herumschrie, diese gottverdammten grünen Idioten könnten sich ihre toten Ferkel gerne mal anschauen kommen, sie müssten sie nur ausbuddeln. Es rauschte ordentlich in der Lokalpresse, die Witwe hat den ganzen Trubel nur ein halbes Jahr überlebt, dann bekam sie einen Schlaganfall. Sohn Friedrich ist später von Schweinen auf Puten umgestiegen, er meinte, das sei zukunftsorientiert, das Tragische war nur, dass die Putenküken dann wieder vom Habicht geholt wurden, der das Revier des Altvogels übernommen hatte.

Beim Versuch, den Horst des Räubers zu zerstören, ist der Sohn dann vom Baum gefallen, die Pastorin fand ihn mit Genickbruch und aufgeschlagenen Eiern vor der Kirchentür. Die Eier waren übrigens vom Habichtpärchen, das es dann aber vorzog, weiter außerhalb zu brüten, was ihnen aber auch kein Glück brachte, weil sie vom Uhu gerissen wurden. Uhus haben bei uns eigentlich nie gebrütet, sind auch damals noch seltener gewesen als heute, vielleicht war es einer auf der Durchreise oder die Inkarnation des alten Voßbeck, wer weiß. Da die Voßbecks keine weiteren Nachfahren mehr hatten, wurde der Hof verkauft. Der örtliche Naturschutzverein hat das Anwesen gepachtet. Es gab dort mal eine Ausstellung über ein Uhu-Schutz-Programm.

Die Leute im Dorf haben sich da ein bisschen aufgeregt, das wäre mit Sicherheit nicht im Sinne der alten Voßbeckschen gewesen, aber dem Uhu konnte man ja an sich keinen Vorwurf machen. Überhaupt auch den Vögeln nicht, obwohl im Dorf gerne erzählt wurde, die Vögel hätten diese Familie auf dem Gewissen.

Eigentlich auch mal ganz schön, wenn es andersherum läuft, ansonsten werden Vogelarten ja eher von Menschen ausgerottet. Dank Helmut Schmidt und der Albinoamsel interessiere ich mich jetzt also für alles, was so flattert. Was das Ganze mit Jimi Hendrix zu tun hat? Eigentlich nix, aber gute Musik hat er gemacht, das wird man ja auch mal sagen dürfen.