Jürgen Witte: Sind schon wieder Stars in der Stadt?

Die Berlinale ist vorbei, und ich habe es wieder einmal geschafft, all den vielen Stars in der Stadt aus dem Weg zu gehen. Ich mache das immer so, wenn irgendwelche Berühmtheiten sich in der Stadt ballen, dann versuche ich möglichst extra wenig aus dem Haus zu gehen. Ich kaufe mir meist vorher einen Kasten Bier und hoffe dann, der reicht so lange, bis die wieder weg sind. Damit ich die ganz bestimmt nicht aus Versehen treffe. Weil, mir ist das immer peinlich, Stars zu treffen. Man weiß ja nicht, was man da machen soll. Guckt man hin, ist es peinlich. Guckt man nicht hin, sind sie womöglich gekränkt und fangen an zu zweifeln, an der Dauerhaftigkeit ihres Starstatus. Man will doch wildfremde Menschen nicht ohne Grund kränken. Und bei Filmstars ist mir das besonders peinlich, weil ich ganz viele von denen, also die neueren, tatsächlich gar nicht kenne.

Ich denke dann immer: Oha! Is wieder Berlinale, es wimmelt in der ganzen Stadt von Stars, da muss ich aufpassen. Das könnte problematisch werden. Ich stehe vielleicht zufällig bei Reichelt bei mir um die Ecke mit einem Kasten Bier in der Hand an der Kasse und so ein berühmter Star reiht sich hinter mir ein und, nur ganz aus Versehen, rammt ausgerechnet der mir der seinen Einkaufswagen in die Hacken und der Bierkasten fällt mir fast runter vor Schmerz und ich habe ohnehin an dem Tag schon schlechte Laune und ich blaffe den dann also kreuzmäßig an: Ob er seinen Einkaufswagenführerschein im Lotto gewonnen hat? Ob er das mit dem Saufen am frühen Morgen nicht doch etwas übertreibt? Oder noch schlimmer.

Das wäre dann doch peinlich. Am nächsten Tag stünde ich dann sicher mit Foto und vor dem Bauch gehaltenem Bierkasten in der B.Z. Schlagzeile: »Berliner beleidigt Vin Diesel. Vin Diesel musste sich entschuldigen!« Also jetzt nur mal als Beispiel. Mir wäre das sehr peinlich. Ich habe keine Ahnung, wie dieser Vin Diesel aussieht. Ich kenne nur den Namen. Ich gehe nicht mehr so oft ins Kino. Ich bin jetzt über 50 und noch nie hatte die B.Z. einen Grund, ein Foto von mir zu veröffentlichen und das soll auch so bleiben. Eine Zeichnung von mir haben sie da mal veröffentlicht, und das auch noch, ohne mir dafür ein Honorar zu zahlen. Aber das ist eine ganz andere Geschichte. Eine Geschichte von den Schattenseiten des Lebens, dort wo es so dunkel ist, dass mitunter selbst die Sterne bei Nacht nicht mehr funkeln. Genug davon. Wenden wir uns lieber wieder den echten Stars zu.

Bruce Willis soll ich tatsächlich mal gesehen haben, heißt es. Also jemand anderes, mit dem ich Ku-Damm-nah in der City unterwegs war, behauptet noch heute, er habe damals Bruce Willis aus einem Taxi steigen sehen, und ich sage mittlerweile, obwohl ich den Herrn Willis tatsächlich damals nicht wirklich gesehen habe, ich sage also trotzdem, dass ich den da auch gesehen hätte, weil mein Bekannter sehr sauer war, als er diese Geschichte am gleichen Abend weitererzählte, und ich dann, als ich das Gesehene gefälligst bestätigen sollte, sagte, dass ich den Bruce Willis selber ja nicht wirklich gesehen hätte. Also mein Bekannter wahrscheinlich schon, aber ich eben nicht. Weil ich da in dem Moment grade nicht hingeguckt hätte.

Auch so was ist peinlich am Prominente treffen. Man muss das hinterher auch noch glaubhaft erzählen können. Wie gesagt, heute versuche ich das möglichst zu vermeiden.

Seit ich mal eine junge Dame vom Fernsehen kannte, die in den Wochen der Berlinale quasi jeden Abend am Ausgehen war, weil sie hoffte, da womöglich den einen oder anderen Star zu treffen - meist saß sie dann im Florian, nahe Savingy-Platz, und seit ich das Gewese erdulden musste, das ein Freund mal veranstaltete, weil David Bowie zufällig am selben Abend in der gleichen Lokalität verkehrte wie er mit seiner Freundin auch, seither weiß ich, dass es nicht gut ist, wenn so einfache Leute wie unsereins zufällig auf irgendwelche Stars treffen.

Da liegt kein Segen drauf, das verdirbt die gepflegte Konversation. Die fangen dann dauernd an, davon zu reden, wie sie den und den gesehen hätten. Und wenn ich dann antworte, den habe ich auch gesehen, erst letzte Woche im Fernsehen, dann behaupten sie, dass das was ganz anderes wäre. Total anders, gewissermaßen nicht echt. Dabei sind diese Stars doch Stars, weil man sie ständig im Kino oder in Fernsehen sieht, und nicht, weil ein x-beliebiger Marco sie zufällig aus einem Laden an der Friedrichstraße hat kommen sehen. Ein Star auf der Straße, das ist wie eine Schildkröte, die auf dem Rücken liegt.

Illustration: K.P.M. Wulff

Ist doch so. Das Fernsehen, die Leinwand, das ist die natürliche Umgebung für Stars. In anderen Biotopen sind die ja meist gar nicht überlebensfähig und brauchen deshalb immer ein paar Leute um sich rum, damit sie sich in dieser ihnen im Grunde fremden Umgebung überhaupt behaupten können. In mancher Berliner Eck-Kneipe würden die nicht mal ein Schultheiss bekommen, weil sie ja oft nur englisch reden können. Und Englisch wird in den wenigsten Berliner Eck-Kneipen gesprochen. Ich weiß das, ich war mal mit einem Engländer, einem stinknormalen unprominenten Engländer, auf Neuköllner Kneipentour rund um den Hermannplatz. Ich sollte dann immer alles Gesagte übersetzen. Was ich mir da an Frozzeleien anhören musste! Wir beide waren an dem Tag quasi überall die Lachnummer des Abends. Aber er wollte unbedingt in echte Berliner Kneipen, nicht in so Szeneläden. Wo sich jeder Gast schon halbpromintent vorkommt, wenn er da dann sitzt und englisch reden völlig normal findet.

David Bowie soll damals in diesem In-Club in der Krummen Straße drei Flaschen Champagner bestellt haben, auf Englisch, für sich und die ganze Blase um sich herum, und dann ging er irgendwann wieder. Übrigens ohne zu bezahlen. Wollen wir das wirklich wissen? Dass David Bowie einer der wenigen von Wirten überaus gern gesehenen Zechpreller dieser Welt ist? Also mein Freund, der damals mit dem dortigen Wirt ein bisschen befreundet war, der erzählt mir diese Geschichte mindestens einmal im Jahr. Obwohl das jetzt schon fast 25 Jahre her ist.

Jürgen Witte

Jürgen Witte (*1956 in Karlsruhe). 1979 Flucht nach Berlin (West). Vortragender Autor beim ›Frühschoppen‹ und in der ›Reformbühne‹. Salbader-Senioren-Redakteur, lebt in Steglitz und hat nur das alte Web 1.0.