Horst Evers: Worauf warten wir?

In der heutigen Zeit muss man flexibel sein. Das denke ich auch immer, wenn ich beim Brötchenholen in den Regen komme, die Shampooflasche raushole und mir erstmal die Haare wasche. Ob beim Wetter oder sonstigen gesellschaftlichen Veränderungen, man muss immer vorbereitet sein, mehrgleisig fahren. Das sagen ja auch immer die Wirtschaftsexperten in den Talkshows. Unsere heutige Gesellschaft verändert sich so schnell. Wenn heute noch Industriefeinmetallfräser gesucht werden, könnten es morgen schon wieder Ärzte sein. Und wer dann nicht vorbereitet ist, also wer in seinen Feinmetallfräserpausen Kaffee getrunken hat, statt sich mit einem Medizinstudium weiterzubilden, der ist dann selber schuld. Der darf sich dann nicht wundern, wenn es im Feinmetallfräserbusiness dünner wird und er dann aufs Mal dasteht. Dabei ist gerade in der Feinmetallfräsebranche selbst bei anhaltend guter Konjunktur ein zusätzliches Medizinstudium oft sehr sinnvoll. Ist ja schnell mal was passiert. Wer wüsste das besser, als die Feinmetallfräser?

Der Berliner weiß natürlich längst, dass man immer verschiedene Eisen im Feuer haben muss. Er hat sogar ein Sprichwort dafür. Der Berliner sagt: »Warte nie an einer Bushaltestelle, wo nur ein Bus fährt. Weil, wenn der dann nicht kommt, dann, ja dann …« dann guckste, so wie ich jetzt am Busbahnhof in Lemgo, wo am Sonntagmorgen genau eine Linie fährt, bzw. vor gut 10 Minuten hätte fahren sollen; mit mir drin im Idealfall. Aber der Idealfall ist nicht. Wenn‘s jetzt wenigstens regnen würde, könnte ich mir zumindest die Haare waschen. Aber nicht mal das. Immer Pech.

Auf der Bank sitzt ein Mann und liest Zeitung. Spreche ihn an: »Entschuldigung, warten Sie auch auf den Bus?«

Er schaut mich an, als hätte ich gefragt, ob ich mich auf seinen Schoß setzen darf. Dann lacht er und geht weg. Mist, wenn ich gewusst hätte, dass er so reagiert, hätte ich ihn eigentlich wirklich fragen können, ob ich mich auf seinen Schoß setzen darf. Das wäre vielleicht ganz schön gewesen.

Sehe einen Mann im Informationshäuschen sitzen. Klopfe an die Fensterscheibe. Frage: »Hallo, wann kommt denn der Bus?«

»Welcher Bus?«

»Na um 41 sollte einer fahren. Nach Bad Salzuflen. Jetzt ist es 53.«

Er verdreht die Augen, greift zum Telefon, telefoniert, lacht, legt auf, erhebt sich, zieht seine Hose zurecht, geht aus seinem Häuschen wortlos an mir vorbei zum Busplan, zückt den Kuli und streicht den 41er-Bus durch. Sagt: »So, jetzt müssen Se doch wenigstens nicht mehr umsonst warten.

Illustration: K.P.M. Wulff

Frage, wann der nächste Bus fährt. Er zeigt auf den Busplan. Sage: »Da steht nur der 41er.«

Er nickt: »Eben.«

Frage ihn, ob ich stattdessen ein bisschen auf seinem Schoß sitzen darf. Er schaut, als hätte ich gefragt, wann denn der Bus fährt, willigt aber ein. »Also gut, meinetwegen.«

Beschließe, dass es das Vernünftigste ist, mich ein wenig auf seinen Schoß zu setzen und auf ein Wunder zu warten. Denke: »Sind wir nicht alle nur Fahrgäste, denen man den Bus gestrichen hat? Wohl dem, der dann zumindest noch einen Schoß hat, auf den er sich setzen kann.«