Nils Heinrich: Ich kann mir nicht vorstellen, dass das funktioniert

Sachsen-Anhalt. Zwei Worte wie Nierentritte, Worte mit einem ganz schlechten Image. Zwei Worte wie »Offene Wunde«, »Nässendes Geschwür«, »Beatmungsmaschine abstellen«. Spricht man »Sachsen-Anhalt« aus, klingt es hart und unfreundlich, richtiggehend gespuckt. Immer mehr Menschen benutzen »Sachsen-Anhalt« als Synonym für Gemütszustände, die in Richtung lebensmüde tendieren. Es heißt nicht mehr »Du, mir geht’s heute ganz schlecht«, es heißt: »Mir geht’s so Sachsen-Anhalt.« Es heißt: »Ich fühl mich wie Sachsen-Anhalt« anstelle von »Ich fühl mich wie ausgekotzt.«

Und es ist durchaus angemessen, einem Menschen mit enormem Gesichtsverfall aufgrund von Krankheit oder Unverträglichkeit gewisser Alkoholika frech aber freundlich zuzurufen: »Mensch, du guckst aus der Wäsche wie Sachsen-Anhalt.« So leer, so zerfallen, so zum Wegrennen.

Aus Sachsen-Anhalt sind schon einige Millionen Menschen weggerannt. Wenn der Wegzug anhält, ist bald keiner mehr da, der das Licht ausmachen kann. Nur noch ein paar Deppen, deren Zähne so braun sind wie ihre Gesinnung, und die schon morgens um neun Uhr mit einem pisswarmen Oettinger auf ihre National befreite Zone anstoßen. Befreit von Geist, befreit von Hoffnung, befreit von Arbeit. Freiheit kann so scheiße sein!

Daher ist man im Frühjahr 2006 in Magdeburg, der Landeshauptstadt des Wachkomapatienten Sachsen-Anhalt, auf die Idee gekommen, junge geflohene Magdeburger zum Rückzug einzuladen. Menschen, die in den Westen zogen, um dort ihr Geld nicht bewilligt zu bekommen, sondern zu verdienen, bekamen ein Paket zugestellt. Ein Paket mit Grüßen aus der Heimat.

Eieiei, Pakete bekommt man doch eigentlich ganz gern, unermesslich groß ist die Vorfreude auf den Inhalt. Voller Ungeduld zerschneidet man die Paketschnüre, um den Karton aufzureißen, weil man endlich wissen will, was man Feines geschickt bekommen hat.

Was mag wohl im Paket aus Sachsen-Anhalt drin sein? Ein Senfglas, voll mit Restbeständen gelbsaurer Bitterfelder Stadtluft? Ansichtskarten aus Leuna und Buna? Ein Baseballschläger, an dem krustiges Blut und ein afrikanisches Kraushaar kleben? Ein Aufruf, Geld zu spenden? Nein! Im Paket aus Sachsen-Anhalt, welches etlichen jungen, in den Westen verzogenen Sachsen-Anhaltinern zugestellt wurde, befanden sich laut Berliner Zeitung folgende Gaben: ein Satz Skatkarten lag drin, ein Gutschein über Karten für das Magdeburger Theater, ein Päckchen Knäckebrot mit Sesam und zwei Absinth-Trüffel-Pralinen aus einer Magdeburger Zuckerbäckerei.«

Absinth? Wenn schon das Oettinger nicht mehr reicht, sich die Lage schön zu saufen, müssen härtere Halluzinogene ran. Drogen mit Zuckerguss. Das Problem ist nur: Die entfleuchten Landeskinder bekommen dort im Westen, wohin sie entschwanden, alles an Drogen, was man nur finden kann. Die brauchen diese Ostdrogen nicht. Und eigentlich verließen sie ihre Heimat auch nicht, um im Westen Drogen zu konsumieren. Sie verließen ihre Heimat, weil sie sich in ihr verlassen fühlten. Und ihre Heimatgefühle kriegen sie schon dann, wenn jemand in ihrer Nähe das Wort »Arbeitslosenzahlen« ausspricht.

Ein tyrannischer Ehemann kann seine vor ihm ins Frauenhaus geflohene Frau auch nicht zur Rückkehr bewegen, in dem er ihr den abgeschnitten Kopf der gemeinsamen Katze schickt, eingewickelt in ihre Ado-Gardinen. Und wenn ein irrer Geistesgestörter, dessen Wohnung mit Postern von Jeanette Biedermann zutapeziert ist – was ihn sicherlich irgendwann komplett verrückt machen würde, wenn er es nicht schon wäre – wenn dieser Verrückte seinem Idol Jeanette Biedermann einen von ihm getragenen Herrenslip zuschickt – mit ganz besonderen Grüßen drin – dann wird sie ihm garantiert nicht ihr nächstes Album widmen. Sie wird zur Polizei gehen und Anzeige erstatten. Solch penetrantes Betteln um Aufmerksamkeit und Zuneigung nennt man Stalking.

Mal angenommen, es lässt sich tatsächlich jemand von den guten Gaben im Ostpaket dazu erweichen, zurück nach Sachsen-Anhalt zu ziehen. Was erwartet ihn denn da? Noch mehr Packungen mit Knäckebrot? Ein Plattenbau für sich ganz alleine? Ein Job in einer Abrissfirma, mit der gleichen Arbeitszeit wie vorher, aber dafür halb soviel Lohn? Ein paar in die Fresse?