Uli Hannemann: Im Biergarten

Heute möchte ich lustig sein. Zu diesem Zweck suche ich einen Biergarten auf. Dort setze ich mich auf eine Bank, damit ich nicht stehen muss, denn Sitzen ist bequemer als Stehen – das weiß ich schon, das habe ich hundertmal ausprobiert. Im Stehen könnte ich niemals lustig sein.

Die Kellnerin kommt. Das ist eine Frau, die den Gästen des Biergartens Getränke bringt. Ich weiß das, weil ich es erst jahrelang ausgekundschaftet und anschließend selbst getestet habe. Nach unzähligen Fehlversuchen und akribischem Feilen an meiner Wortwahl hat es am Ende tatsächlich funktioniert.

»Bringen Sie mir bitte ein Bier«, informiere ich die Kellnerin, »ich will lustig sein.« Fast jedes dieser Worte ist fester Baustein einer unmissverständlichen Kommunikation: »Bringen« zeigt ihr die erforderliche Tätigkeit an. »Sie« signalisiert ihr zum einen, dass sie mit der Aufforderung gemeint ist, und nicht irgendjemand – und zum anderen, dass sie erwachsen ist und sich somit keinesfalls hinter einer Art Minderjährigenbonus verschanzen kann, um sich auf diese Weise ihrer Verantwortung zu entziehen. »Mir« kennzeichnet unzweideutig den Adressaten des Biers, sonst würde sie es vermutlich ungelenkt irgendwohin tragen, in letzter Konsequenz bis ans Ende der Welt, und dort mitsamt dem Bier hinunterfallen. Auch das Zahlwort »ein« ist wichtiger, als der Lebenslaie denken möchte, denn je größer die Zahl der Biere, die ich auf einmal gebracht bekomme, desto schlechter schmecken bald diejenigen, die ich nicht schnell genug trinken kann – das Leben ist eine einzige Schule! Das bereits mehrfach erwähnte »Bier« enthält – nun wird es entscheidend! – Alkohol, ein hochwirksames Nervengift, das lustig macht, und lustig wollte ich schließlich sein.

Bleibt noch das Wort »bitte«. »Bitte« ist im Grunde Quatsch. Es besitzt keinen eigentlichen Sinn. Aus langjähriger Erfahrung weiß ich aber, dass die Menschen sich wohl fühlen, wenn man sie mit überflüssigen Höflichkeitsfloskeln und Grußformeln zumüllt. Einige »lächeln« dann - das heißt, sie verzerren ihre Züge zu einer speziellen Fratze, die der gesellschaftliche Konsens aus einer mir beliebig erscheinenden Grille heraus positiv konnotiert. Nun könnte es mir ja völlig egal sein, wie sich die Kellnerin fühlt, denn schließlich bin ich ja nicht sie. Aus intensiven Beobachtungen habe ich jedoch die Erkenntnis gewonnen, dass das Bier schneller kommt, wenn die Kellnerin sich wohl fühlt.

Die Kellnerin notiert meine Bestellung mit einem Stift auf einem Block, damit sie sie nicht vergisst. Das weiß ich, weil ich mal gefragt habe. Ich hatte es zwar gleich wieder vergessen, aber ich habe einfach so oft nachgefragt, bis ich es endlich behalten konnte. Sie lächelt nicht, obwohl ich »bitte« gesagt habe. Hätte ich mir den Schmu also sparen können – wusste ich’s doch! Die Sache mit dem Geschlechtsverkehr spreche ich unter diesen Umständen besser gar nicht erst an – mit so etwas bin ich inzwischen vorsichtig geworden. Hätte ich eigenständig vorweglächeln sollen? Alles weiß ich leider auch nicht. Außerdem habe ich es durchaus schon versucht – es hat nur nicht geklappt. Vielleicht darf man dabei nicht schreien. Aber ich schreie nun mal so gern.

Illustration: Flix

Die Kellnerin bringt das Bier. Jetzt muss ich es trinken, sonst werde ich nicht lustig. Ich höre kurz auf, zu schreien, damit ich besser schlucken kann. »Gluck, gluck, gluck«, macht mein Schlund beim Schlucken. Ich spüre, wie das Gift Gehirnzelle für Gehirnzelle in Schutt und Asche legt; wie es meine Blutbahnen entert und in der Folge massiv meine Leber belastet; wie ich die physische, psychische und soziale Kontrolle verliere. Jetzt bin ich lustig.