Daniela Böhle: Biosupermarkt

Wenn man sich sonderbar verhalten will, ist ein Biosupermarkt genau der richtige Ort. Der ist voller Neurotikerinnen und Neurotiker, da fällt man gar nicht auf. Da ist man, egal was einem als normalem Menschen einfällt, selbst bei extremstem Verhalten noch voll im Mittelfeld.

Dass es da Dinkelkekse gibt, liegt nicht daran, dass Dinkelkekse lecker sind. Es liegt daran, dass es Leute gibt, die eine Weizenallergie für ihr Leben brauchen.

Klar, man kann jetzt einwenden, Allergien, das sind reale Gegebenheiten, und das mag ja in Einzelfällen auch so sein. Aber ich bin sicher, 90% der Dinkelkekser haben einfach nur einen Schatten. Die brauchen eine Weizenallergie, damit ihr Leben einen Sinn hat.

Es war ein Tag, an dem ich ziemlich gereizt war. Das lag an diesem Computerabsturz, zu dem ich jetzt besser nichts weiter sage, sonst muss ich gleich wieder in einen Biosupermarkt. Jedenfalls wusste ich, dass dieser Ort mir helfen würde. Dort konnte ich mich ungestraft bescheuert benehmen, ich konnte dämlich sein ohne eine noch dämlichere Antwort zu bekommen, ideal.

An diesem Tag dachte ich an Nitritpökelsalz. Ich würde mit der Fleischverkäuferin ein Gespräch über Nitritpökelsalz führen. Wie das ja nicht gesund ist und es immer noch Biometzger gibt, die das trotzdem in ihre Wurst tun. Ist gar nicht gut.

Ein echtes Scheißgespräch.

An Stelle der Fleischverkäuferin würde ich mich innerhalb von Minuten mit einem gefrorenen Tierbein erschlagen, aber dann hätten die dort viel zu tun. Im Biosupermarkt sind schließlich alle so.

Leider war aber die Fleischtheke schon mit einer aggressiven Magersüchtigen belegt. Der war es unappetitlich, dass die Verkäuferin ihre zwei Scheiben magerer Wurst mit der Maschine schneiden wollte, ohne die Maschine vorher desinfiziert zu haben. Guter Trick, dachte ich, merke ich mir für nächstes Mal. Die Verkäuferin blieb natürlich völlig ruhig und sagte mehr oder weniger nichts dazu. Was sollte sie auch dazu sagen. »Ich möchte nicht, dass sie die Wurst mit ihrer schmutzigen Maschine schneiden!«, sagte die Magersüchtige. »Keine Sorge, die Maschine ist sauber«, sagte die Verkäuferin. Klarer, freundlicher Dialog.

Eine normale Verkäuferin hätte möglicherweise gesagt, kommse doch mit ihrem Wischlappen durch und putzense das Ding, wenn’s ihnen nicht sauber genug ist, oder, det Ding is sauberer als ihr Teller für die Wurst drauf ze tun, Frolleinchen, auf jeden Fall hätte sie Frolleinchen zu dem wandelnden Stecken gesagt.

Aber wir sind im Biosupermarkt, da dürfen nur die Einkäuferinnen scheiße sein.

Illustration: Flix

»Die Maschine ist dreckig!«, sagte die Magersüchtige also. Hatte ich auch nicht anders erwartet. So eine verbeißt sich. Zu irgendwas müssen deren Zähne ja gut sein, wenn schon nicht zum essen. Die Verkäuferin packt ruhig die Wurst ein, vermutlich sagt sie innerlich gerade OM!

Sie packt also ruhig die beiden Wurstscheiben ein und wartet dann ab. Vielleicht will die Magersüchtige ja auch noch drei Krümel von dem mageren Gehackten, aber nur wenn der Fleischwolf vorher desinfiziert worden ist.

Nun bleckt sie die Zähne und sagt: »Sie hören mir ja gar nicht zu!« Das ist ein gefährlicher Ton, in dem sie das sagt. So brutal liebeswürdig stelle ich mir Folterknechte vor, bevor sie den Strom einschalten.

»Ich höre ihnen zu«, sagt die Verkäuferin nach einer kurzen Pause. Valium, denke ich. Die verräterische Verzögerung. »Wenn sie mir zuhören würden, dann wüssten sie, dass ich eine saubere Maschine verlangt habe!«

»Die Maschine ist sauber«, sagt sie wieder. »Ich möchte den Geschäftsführer sprechen«, sagt die Magersüchtige herrisch. Mich wundert, dass sie nicht seinen Namen kennt. Ich denke mal, sie kennt alle Geschäftsführer zwischen hier und Odessa. Vor allem die der Bioläden.

»Die Chefin ist Montag wieder da«, sagt die Verkäuferin. »Ich will mich über sie beschweren«, sagt die Magersüchtige und ich bewundere die Verkäuferin. Ich hätte diese dumme Person schon der Auslage zugefügt, Abteilung Suppenfleisch, weil zu schlechte Fleischqualität. Sie reicht ihr die Wurstscheiben, die subtile Weigerung, ihr drei Krümel Gehacktes abzuwiegen, ist das Äußerste an Aggression, was sie mobilisiert.

»Die Wurst nehme ich natürlich nicht!«, sagt die Magersüchtige triumphierend. »Von dieser dreckigen Maschine!«, und dreht sich auf dem Absatz um. Die Verkäuferin zuckt nur die Schultern. Vermutlich bietet sie in ihrer Freizeit Antiaggressionstraining an. Ich bin sicher, sie wird sehr bald sehr damit sehr reich werden, sie ist einfach unerhört erfolgreich mit ihrer Methode.

Diese Fleischthekensache ist nicht zu toppen. Mir geht’s aber auch schon viel besser. Mein Ausbruch vorhin an meinem Computer, hey, das war doch NIX!

Auf dem Weg zum Ausgang höre ich noch mit einem Ohr, wie ein Mann immer wieder laut »Warum gibt es denn hier keinen rechtsdrehenden Yoghurt!« wiederholt. An der Kasse bleibe ich dann doch noch stehen, weil ich aus irgendeinem Grund plötzlich ein Päckchen Dinkelkekse in der Hand habe.

»Ich habe eine Weizenallergie«, sage ich zum Kassierer. »Zwei Euro zwanzig«, sagt er freundlich und lächelt.