Robert Naumann: Wie ich mal keine Salamistulle gegessen habe

Bin verzweifelt. Habe einen unbändigen Appetit auf Wurststulle gehabt. Im Kühlschrank langweilte sich eine sehr schmackhafte Salami. Sie wartete darauf, dass sich jemand ihrer annahm und dünne Scheiben von ihr abhobelte, wie das nun mal die Bestimmung einer Salami ist. Es passte ideal. Auf der einen Seite ich mit diesem heftigen Heißhunger auf Wurststulle, auf der anderen Seite die Salami, die gegessen werden wollte. Ein toller Zufall. Solche Gelegenheiten sollte man nicht verstreichen lassen.

Ich öffnete den Kühlschrank und griff nach der Wurst. In diesem Moment brüllte meine Frau »Stop!« und kam hinter dem Kühlschrank hervorgehüpft, hinter dem sie seit dem frühen Morgen lauerte. Sie hatte recht. Ich hatte es vergessen. Heute war Mittwoch, wurstfreier Tag. Montag, Mittwoch und Freitag sind seit gestern wurst- und fleischfrei, meine Frau nennt sie Vegi-Tage. Es war ihre Idee. Sie hat die Vegi-Tage eingeführt, mit einer Für- und drei Gegenstimmen. Demokratie funktioniert bei uns etwas anders als im herkömmlichen Sinne. Meine Frau hat so eine Art Vetorecht, es liegt in ihrem Ermessen, das Ergebnis einer Abstimmung auch mal ganz unkonventionell zu interpretieren. So wie bei den Vegi-Tagen.

Als ob die Sache nicht schon kompliziert genug für mich als den Koch der Familie wäre. Meine ganze Familie spinnt, wenn es ums Essen geht. Meine Frau ist Vegetarierin, isst nichts, wo Essig oder Mayonnaise dran ist, muss von Hülsenfrüchten kotzen und wird von der Kombination Kohlrabi und Sahne bettlägerig. Marie lehnt prinzipiell alles ab, was ihr optisch nicht zusagt, und Grete mag außer Salami eigentlich nur trockene Kartoffeln.

Wenn ich allen gerecht werden sollte, bliebe mir nichts anderes übrig, als jeden Tag trockene Kartoffeln auf den Tisch zu stellen, das ist der einzige gemeinsame Nenner.

Wenn ich nicht im Moment dieses unglaubliche Verlangen nach Wurststulle hätte, würde ich die Idee meiner Frau vielleicht sogar ganz gut finden. Wegen der Tiere, die dann wegen uns nicht geschlachtet werden müssen. Wir könnten so wöchentlich das Leben einiger Broiler und Schweine retten. Na gut, das ist jetzt vielleicht ganz schön naiv gedacht. Wahrscheinlich wird munter weitergeschlachtet, ohne Rücksicht auf unsere hehren Absichten. Das muss man dann verdrängen.

Die Tiere tun mir schon leid. Aber sie schmecken. Und wenn man bedenkt, dass man aus einem Schwein und einer Kuh zirka 6000 Königsberger Klopse oder 33.500 Salamischeiben herstellen kann, wäre es doch geradezu töricht, sie nicht zu schlachten. Bei einer zu erwartenden Lebensdauer von achtzig Jahren wäre das täglich eine Scheibe Salami. Lebenslang mit Salami versorgt von einer einzigen Kuh und einem einzigen Schwein! Deswegen soll ich ein schlechtes Gewissen haben? Außerdem sind Kühe die schlimmsten Umweltverpester, 300 Liter Methangas gibt eine ausgewachsene Kuh pro Tag in Form von Rülpsern und Pupsern an die Umwelt ab und ist hauptverantwortlich für den Treibhauseffekt. Die müssen also eh weg. Dann ist das doch besser, wenn die alle zu Salamischeiben verarbeitet werden.

Aber so weit denkt meine Frau nicht. Sie steht immer noch da. Seit zwei Stunden. Aber ich stehe auch noch da. Eine Pattsituation.

»Die Welt wird nicht besser, wenn ich mittwochs keine Salamistulle esse«, versuche ich zu argumentieren.

»Diese Salami war kein glückliches Tier«, entgegnet sie.

›Eben‹, will ich sagen, ›besser Salami als ein unwürdiges Dasein‹, aber mit Zynismus dürfte ich meine Frau nur noch mehr verärgern. Sie knabbert an einer Mohrrübe und hält mir stumm eine zweite vors Gesicht. Sie hat recht. Heute ist Mittwoch, wurstfreier Tag. Sie hat den Vorschlag gemacht. Wir haben dagegen gestimmt. Aber sie hat sich durchgesetzt. Da gibt’s nichts dran zu rütteln. Ich gebe mich geschlagen, nehme die Mohrrübe und knabbere daran. Dafür ess ich morgen zwei Salamistullen.