Raeto Meier: Für drei Gläser Cognac

Es ging gegen das Ende der siebziger Jahre und die Baader-Meinhof-Hysterie war ganz allgemein im Abklingen. Doch wie die Flamme einer niedergebrannten Kerze, die ein letztes Mal aufflackert, war das Gespenst der Roten Armee Fraktion plötzlich wieder allgegenwärtig. An der grünen Grenze zu Frankreich, mitten im Berner Jura, kam es eines Tages zur Schießerei zwischen RAF-Mitgliedern, die in die Schweiz infiltrieren wollten und ein paar wackeren Zöllnern. Die Folge davon: zwei erschossene Grenzbeamte und einer schwer verletzt. Nach einer kurzen Flucht durch den Jura konnten die zwei Baader-Meinhof-Terroristen, wie sie damals genannt wurden, dingfest gemacht werden. Es handelte sich dabei um Gabi Kröcher-Tiedemann und einen Komplizen, nennen wir ihn Günter Scholz.

Die Rote Armee Fraktion in der Schweiz? Plötzlich war das Gespenst, welches wir immer aus der Ferne in unserem Nachbarland Deutschland beobachtet hatten, unter uns, in unserem sauberen Alpenland und bedrohte Menschen, Banken und Staat. Die Zeitungen waren voll vom Zwischenfall an der französischen Grenze und die Schlagzeilen drohten sich gegenseitig zu überbieten. Allen voran die Boulevardzeitung »Blick«, sie konnte in jenen Tagen ihre Auflage steigern mit haarsträubenden Geschichten über die bösen Terroristen.

Wieder mal arbeitslos und ausgesteuert, kämpfte ich täglich um mein Brot und war immer dankbar für einen zusätzlichen Nebenverdienst. Wieso sollte da die Rote Armee Fraktion, die ja angeblich ihren Krieg für das Proletariat führte, nicht zur neuen Einnahmequelle für mich werden?

»Etwas gesehen? Etwas gehört? Ruf sofort den »Blick« an und du bekommst 100 Franken!« Dies war das Motto des Revolverblattes, welches sich häufig auf Leserhinweise stützte. Hundert Stutz für einen brandheißen Tipp aus der Terrorszene? Ich war überzeugt, für meine Geheiminformationen würde die Bundeshausredaktion des »Blick« bestimmt sogar zweihundert Kröten locker machen!

Nach einem kurzen Telefongespräch mit Beni Freuler vom »Blick« machte ich mich auf den Weg in die Speichergasse. Ich stieg ein paar ausgetretene Treppen zu dem vorsintflutlichen Büro hoch, welches sich großspurig Bundeshausredaktion nannte. Eigentlich wäre ich gerne mit echten Pilotengläsern im Gesicht eingetreten, doch meine Barschaft liess dies nicht zu. Stattdessen musste ich mich mit einer billigen Sonnenbrille für zehn Franken aus dem Warenhaus EPA begnügen.

Nach kurzen Klopfen betrat ich das winzig kleine Berner Büro der größten Schweizer Tageszeitung und Beni Freuler, der Bundeshausredaktor, war hoch erfreut mich empfangen zu dürfen. Ich versuchte, einen gefährlichen Eindruck zu machen, doch sowohl meine Stimme wie meine Hände zitterten. Freuler nahm eine Flasche Cognac aus der untersten Schreibtischschublade und goss mir ein Glas voll. Dies sollte wohl dem V-Mann aus der Terrorszene die Zunge lockern. Ich ließ mich nicht lange bitten und stürzte den Cognac in einem Zug herunter. Nach Freulers roter Knollennase mit den blauen Äderchen zu schließen, war er ab und zu einem Gläschen auch nicht abgeneigt. Um zu beweisen, dass ich ein Kenner der Szene war, sprach ich bewusst von »unseren militanten Genossen von der Roten Armee Fraktion«.

»Noch einen Cognac?«, fragte Freuler und goss das Glas randvoll.

»Die RAF infiltriert regelmäßig in der Jurazone«, sagte ich mit finsterer Stimme.

»Die Genossen spazieren über die grüne Grenze beliebig ein und aus. In der Schweiz haben sie die die verschiedensten Optionen in Sachen Geldmittelbeschaffung. Kürzlich soll sogar Christian Klar in Bern gewesen sein! Ich habe ihn übrigens persönlich gesehen, im Stadtguerillatreffpunkt an der Brunnengasse! Klar hat es sich nicht nehmen lassen, am ehemaligen Stammtisch Lenins in Restaurant Zimmermania ein Bier zu heben. Die Berner Polizei hat gepennt wie immer!«

Allmählich spürte ich, wie mir von Freulers Cognac die Zunge immer schwerer wurde. Ich zeigte dem Redaktor noch auf einer Karte, an welchen Stellen im Jura die militanten Genossen von der Roten Armee Fraktion regelmäßig die Grenze überquerten. Plötzlich war mir speiübel und ich verabschiedete mich eiligst aus der Bundeshausredaktion des »Blick«, nicht ohne Freuler darauf aufmerksam zu machen, dass mein Informantenhonorar noch ausstehe. Doch Freuler meine, dies sei eben das Schicksal der V-Männer und Agenten, ständig mit einem Bein im Grab, doch ich hätte ja jetzt zur Stärkung einen Cognac gehabt!

Die ausgelatschten Sandsteinstufen drehten sich um meinen Kopf und ich stürzte fast die Treppen hinunter zur Speichergasse. An der Haustür angekommen empfing mich der Straßenlärm und ich tauchte unerkannt im Mittagsverkehr unter. Noch in derselben Woche machte die Sicherheits- und Kriminalpolizei der Stadt Bern in unserer Wohngemeinschaft eine Hausdurchsuchung und ich verfluchte Beni Freuler, der mich nicht nur um mein Insidertipphonorar geprellt hatte, sondern mir auch noch die Bullen auf den Hals hetzte. Dies war das Ende meiner Karriere als Under-Cover-Agent bei der Roten Armee Fraktion und ich musst mich, um die Weisungen des Arbeitsamts einzuhalten, um eine Stelle als Casserollier beim Restaurant Mövenpick in der Genfergasse bemühen.