Zeichen, Zeiten, Tage und Wunder

Trautes Heim

Ich denk grad Böses. Sitz auf’m Klo und denk Böses. Hoffentlich kommt keiner rein, während ich hier auf’m Klo sitze und Böses denke. Ich darf ja nicht abschließen. Meine Freundin sagt, so was mache man nicht in einer festen Beziehung. Da habe man keine Geheimnisse voreinander. Wenn die wüsste!

Kann also jeder reinkommen, während ich hier so was Böses denke. Selbst Angela Merkel könnte reinkommen. Aber warum sollte sie? Die hat ja sicher ’ne eigene Toilette. Wahrscheinlich sogar ’ne viel Schönere. Die kann bestimmt laut ›Spülen‹ sagen und dann spült das. Einfach so. Die hat’s gut. (Ahne)

Sachfragen

(Bov Bjerg) Der Bundestagswahlkampf 2005 verlief erfreulich rational. Im Vordergrund standen bis ganz zum Schluss die Sachfragen. Ein Beispiel vom Tag vor der Wahl: Unter einem blau-gelben Sonnenschirm steht ein adretter junger Mann, Anzug, Krawatte, Pausbacken. Ein alte, sehr faltige Frau nähert sich, sie zieht ein kariertes Oma-Wägelchen hinter sich her. Sie schaut an dem jungen FDPler hoch und fragt: »Und sie wollen wirklich die alten Leute einfach einschläfern lassen?«

Am Wahlabend sagt das Fernsehen: FDP 9,8 Prozent. Nicht einmal zehn Prozent der Wähler wollen die Alten einschläfern lassen. Das hätte wirklich schlimmer kommen können.

Herpes

(Andreas Scheffler) Manche vermuten, Herpes bekäme jemand, der viele böse Gedanken in sich trage. Diese Leute kann ich beruhigen. Es stimmt nicht. Ich habe noch nie Herpes gehabt.

Mehr davon

Eine Broschüre über die ›Popdeurope 2005‹ am Badeschiff und über eben dieses: ›Es ist ohne Zweifel der spektakulärste Ort in Berlin für ein erfrischendes Sommerbad, für gute Partys und urbane Sexyness.« »Urbane Sexyness«, denke ich, während ich auf dem Balkon unter mir beobachte, wie der Hauswart große schillernde Plocken unter seinen Zehennägeln hervorpult, und sie blind auf den Herrmannplatz wirft, »davon bräuchte man im Grunde viel mehr.« (Uli Hannemann)

Abstieg

Berlin-Wedding, Lüderitzstraße. Seit Jahren schon wundere ich mich, wie in dieser gottverdammten Ecke ein Möbelgeschäft überleben kann. Nun ist es plötzlich weg, Arbeiter klopfen die Außenverputzung von den Mauern. Berührt einen dann ja doch unangenehm. Umso stärker, da im vormals leer stehenden Ladenlokal nebenan ein neuer Mieter Einzug fand: ›Wohnungsauflösungen und Entrümpelungen aller Art‹, preist er auf seiner Schaufensterscheibe an. Allmählich glaube ich doch, dass an der Sache mit der Wirtschaftskrise etwas dran ist. (Heiko Werning)

Quiz

(Bov Bjerg) Ganze Landstriche verwüstet. Wer es kann, haut ab und verlässt die Gegend, mit Familie oder allein. Bei denen, die zurückbleiben, kommen in der Not die niedrigsten menschlichen Regungen zum Vorschein. – Lousiana oder Mecklenburg?

Farbenkunde

(Jürgen Witte) Wenn Teenager ihre blassen Gesichter in der dunklen Disko im blauen Licht ihrer Taschentelefondisplays baden. Ganz allein mit sich selbst und diesem bläulichen Schimmer, der sie so blass macht. Blau ist die Lieblingsfarbe des Medienzeitalters. Der Hi-tech-Mensch ist in seine blaue Periode eingetreten. Bildschirmblau wohin man blickt. Stahlblau, Eisblau, Meerblau, falls das Meer ordnungsgemäß digital nachbearbeitet wurde. Selbst das allfällige Silber wirkt silberner, wenn man etwas vom Blauen hinzu mischt.

Computer können Blau und Türkis, Grün geht noch so, Rot auch, aber Orange, z. B. können sie einfach nicht so gut. Vielleicht deshalb jetzt die Sehnsucht nach den frühen, orangenen Siebzigern.

Arkadistan

Die Schönhauser Allee Arkaden in Prenzlauer Berg und das Gesundbrunnen-Center im Wedding sind nur eine S-Bahn-Station voneinander entfernt und folgendermaßen auseinander zu halten: Das Gesundbrunnen-Center ist das, wofür an den Schönhauser Allee Arkaden mit großen Werbetafeln geworben wird, und die Schönhauser Allee Arkaden sind das, wofür am Gesundbrunnen-Center mit großen Werbetafeln geworben wird. Ist doch einfach. (Nils Heinrich)

In der Apotheke 1

»Ich bekomme bitte eine Packung Ratiopharm.«

»Ratiopharm ist der Name einer pharmazeutischen Firma. Welches Medikament von Ratiopharm brauchen sie denn?«

»Die Tabletten.« (Magister Maier)

In der Apotheke 2

»Und von diesen Tabletten nehmen Sie dreimal täglich eine.«

»Wie oft ist denn dreimal?«

»Morgens, mittags, abends.«

»Ach so.« (Magister Maier)

Neulich Nacht vor dem Wohnhaus seiner Ex

»An ihr altes Fahrrad mit dem Kindersitz war so ein Männermountainbike angeschlossen – ich hab natürlich sofort die Luft rausgelassen.«

»Du benimmst dich manchmal echt wie ne Frau.«

»Nee – ’ne Frau hätte die Reifen aufgestochen, oder das Rad angezündet!«

»Stimmt auch wieder...«

(Uli Hannemann)

Aluminiumkoffer

Der Mensch in der Steppe, der sich aufgerichtet hat; das filzige Haar abschüttelt: sich einen Daumen aus dem Handgelenk zieht, um besser greifen zu können; das Feuer, das Rad, die Höhle und die Sprache erfindet; der sich um Kleidung, Vieh und Blumenbeete kümmert; der Werkzeug, Geld, Religion erschafft, um sich halbwegs wohl zu fühlen – und das alles, um sich knappe 150.000 Jahre später das Miles & More Alu-Kofferset der Lufthansa anzuschaffen - war das der ganze Zweck der Sache? (Theo Fuchs)

My point

Sollte ich jemals ein eigenes Geschäft eröffnen, vielleicht ja einen Lebensmittel-Laden, dann werde ich ihn, inspiriert durch die inflatiös herumstehenden Info- und Servicepoints auch Point nennen, aber anders: nämlich Punkt. Lebensmittel-Punkt. (Nils Heinrich)

Erscheinung

In unserem Block gibt es eine Quartiersverrückte. Zeternd läuft sie mit einem Stock in der Hand die Straßen entlang und brüllt mit heiserer Stimme unsichtbaren Menschen unverständliche Verwünschungen hinterher. Doch gestern sah ich sie in anderem Licht. Sie stand an einer Ampel, die Reflexionen eines Fensters in der Häuserfront gegenüber tauchte allein sie in gleißendes Sonnenlicht. Ihre schmuddelbeige Strickjacke leuchtete nun in elfenbeinfarbenem Glanz, ihre Haare wehten weiß im Wind, kraftvoll hatte sie ihren Stock erhoben, als wolle sie ein Meer teilen. In diesem Moment war sie eine Heilige, eine Prophetin, eine Unverstandene, die nicht wirr, sondern nur in Zungen redete. In diesem Augenblick war sie die Jeanne d’Arc von Berlin-Friedrichshain. Doch dann schickte Gott eine Wolke. (Volker Surmann)

Forschung und Propaganda

(Jürgen Witte) Es gibt auch Katzen, die auf uns Menschen allergisch reagieren. Etwa ein halbes Prozent aller Hauskatzen leiden unter menschlichen Hautschuppen, Haaren etc., und die Tiere bekommen davon asthmatische Beschwerden. Soweit die neuesten wissenschaftlichen Ergebnisse. Mir ist jede Wissenschaft recht, die die Erkenntnis befördert, dass Mensch und Tier sich ein Wohnzimmer lieber doch nicht teilen sollten.

Tristesse

Der Schriftsteller Andreas Maier ist todunglücklich. In seiner Ehe fühlt er sich, seitdem seine Frau und er ein Kind haben, oft wie das dritte Rad am Wagen. Selbst seine Metaphern leiden schon unter der Situation. (Magister »Andreas« Maier)

Wissenswertes über die Pfalz

  1. Es gibt in der Pfalz ein Hotel, da möchte man sofort die Knickerbocker aus dem dunkelbraunen Kleiderschrank kramen und mit Peter Alexander (li.) und Peter Kraus (re.) singend durch die Weinberge wandern. Derweil unten auf der Straße drei rotkarierte Blondinen im offenen Käfer Richtung zum Beispiel Monsheim fahren. Man wird sie im Verlauf des Films noch einmal treffen.
  2. Es gibt in der Pfalz ein Wirtshaus, das heißt ›Zum Schwarzen Herrgott‹. Wenn der Wirt gut drauf sei, sei das Essen sehr gut.

(Bov Bjerg)

In München

In der Münchener U-Bahn-Werbung werden Jugendliche unter dem Titel: »…und wegen sowas die Zukunft verbauen?«, vor dem Schwarzfahren gewarnt: »Schwarzfahren ist nach § 265 StGb eine Straftat und wird mit Haftstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafen bestraft.«

Berliner Gören dürfte man mit so einem Slogan kaum erreichen: Was für eine Zukunft? (Uli Hannemann)

Knigge 2000

(Jürgen Witte) Ich brauche noch immer kein tragbares Telefon. Ich will kein Handy haben, das heißt, ich möchte nicht, dass mir egalwer egalwo, nur weil er jetzt gerade Lust zu telefonieren hat, auf den Wecker fallen kann. Und das ist nicht persönlich gemeint. Das geht schließlich gegen alle meine lieben Mitmenschen. Jetzt, wo ich eines dieser Dinger von wohlmeinenden Freunden geschenkt bekommen habe, und also ein stets abgeschaltetes Handy mit mir herumtrage, sieht es so aus, als wäre es doch persönlich gemeint. Bloß weil sie wissen, dass außer ihnen sowieso keiner meine Nummer hat.

Die Geschichte mit der relativ niedlichen Französin neulich in der Schlange vor mir beim Bäcker

»Bitte eine Schripp!« (Bov Bjerg)

Müllerstraße

Jedes Mal, wenn ich über die Müllerstraße zum Leopoldplatz gehe, freue ich mich auf dem Hinweg auf der rechten Seite über das ›Wurst-Paradies‹, eine Imbissbude, die auf ihrer Werbetafel ausgerechnet verspricht: ›Gefüllter Bauch mit Brötchen, 2 Euro‹. Und auf dem Rückweg auf der anderen Seite der Straße bewundere ich die ALG-II-Beratungsstelle, die dort seit Kurzem in den ehemaligen Räumlichkeiten des Bestatters Grieneisen untergekommen ist und es nicht einmal für nötig erachtet hat, dessen Außenwerbung abzuhängen. So verspricht ein großes Schild im Schaufenster dem Weddinger Ratsuchenden: ›Wir helfen Ihnen beim Ausfüllen Ihres ALG-II-Antrags‹, und direkt daneben prangt das Schild: ›Wir vermitteln auch Seemannsbestattungen auf Nord- oder Ostsee.‹ (Heiko Werning)

Schottland

(Bov Bjerg) Die BBC wies darauf hin, dass es in Schottland, der zweiten Heimat der very sophisticated cuisine, die Sitte der ›deep-fried Mars bars‹ gebe. Also: Marsriegel, in der Fritteuse ausgebacken.

Der konsequente Verzehr frittierter Marsriegel sei für schottische Kinder die einzige Möglichkeit, nach der Schule eine der begehrten Ausbildungen zum Luftkissenboot zu ergattern. Darauf wies die BBC hin.

Kluger Phlegmatiker

Mein Anrufbeantworter wurde neulich von einer Bandansage dazu aufgefordert, an einem Gewinnspiel teilzunehmen. »Seien Sie dabei, sprechen Sie jetzt mit einem unserer Mitarbeiter! Dazu drücken Sie lediglich auf Ihrem Telefon die Taste 0!« Mein Anrufbeantworter hat nicht reagiert. Hat die Bandansage einfach mal reden lassen. Hat dann das Gespräch von sich aus beendet. Einfach ›Piep‹ gesagt hat er. Der ist ähnlich drauf wie ich, mein AB. (Nils Heinrich)

Ökonomie in der Sprache

Im Zug aufgeschnappt: »Onkel Horst konnte nur noch drei Worte: ›Mutti‹, ›Robert« und ›Scheiße‹. Und damit hat er alles ausgedrückt, was er sagen wollte.« (Uli Hannemann)

Trainingsanzughersteller

Sind sich Trainingsanzughersteller eigentlich im Klaren darüber, dass ihre schneidigen Produkte eben nicht von trendsettenden jugendlichen Alphatieren getragen werden, sondern von gesunden schmerbäuchigen, entschleunigt ins ›Kutschereck‹ tapernden Omegarentnern? Zumindest hier im Wedding ist das so. (Nils Heinrich)

Die große Gegenwartsfabel

Die Kuh ist die USA unter den Umweltschweinen.

(Ahne)

Initiation

Habe heute erstmals öffentlich und laut vernehmbar einem Straßenbahnfahrer »Arschloch!« hinterhergerufen. Ich glaube, nun bin ich ein Berliner. (Volker Surmann)

Pietät

»Es ist nicht pietätlos, wenn man bei der Bestattung Preise vergleicht«, warb jahrelang der Beerdigungs-Aldi Grieneisen. Im Tsunami-Januar 2005 dann große Werbetafeln im Schaufenster: »Denken Sie doch über eine Seebestattung nach«. Untertitel: »Die Seebestattung wird mehr und mehr auch in anderen Regionen nachgefragt.« (Heiko Werning)

Mit Studenten unterwegs: Teil 1: Im Kino

Neulich an der Kasse im Cinemaxx Kolosseum Maximus in der Schönhauser Allee: »Also, für Studenten macht der Eintritt 4,90 Euro. Für Normale 6 Euro.« (Robert Rescue)