Horst Evers: Stade

Freitagnachmittag. Mein Zug kommt in Stade an. Will noch schnell im Bahnhofskiosk Zigaretten holen. Als ich den Laden betrete, begrüßt mich der Besitzer: »Moin Heinz, na auf Reisen gewesen?«

Schaue mich erschrocken um. Ausser mir ist niemand im Laden.

»Entschuldigung, ich, äääh…«

»Und, zwei Schachteln Camel Filter, wie immer?«

»Ääh, ja.«

»Und Heinz, soll ich’s anschreiben, wie immer?«

»Ähh, gern.«

»Bitteschön Heinz, denn bis die Tage, ne.«

»Ja, bis die Tage.«

Gehe verwirrt aus dem Kiosk. Werde dann doch nachdenklich. Beschließe nochmal zurückzugehen.

»Was is Heinz, noch was vergessen?«

»Äh, ja, äh, naja, äh, ich hab mir überlegt, ich nehm heut vielleicht doch mal ne ganze Stange.«

»Jungejunge, der Heinz. Na gut ich schreibs auf.«

Er reicht mir die Stange.

»Schönen Gruß an die Familie!«

»Klar.«

Verstaue die Zigaretten und gehe zum Taxistand vor dem Bahnhof. Nehme das erste Taxi, werfe meine Tasche auf die Rückbank, steige ein und beginne nach der Adresse vom Veranstalter zu kramen.

»Guten Tag, ich möchte gerne nach ähm…«

»Mensch Heinz, ich weiß doch wo du wohnst.«

Das Taxi fährt los. Ich will was sagen.

»Ääääh, bpffrf…«

»Und wollte dein Astra wieder nicht anspringen?«

»Nein, nein, das ist es nicht, ich…«

»Verstehe Silke brauchte den Wagen. Jaja, so ist das.«

»Nein, nein, so ist das eben nicht…«

»Heinz, mir brauchste doch nix zu erzählen.«

Beschließe, dass hier jeder Widerstand sinnlos ist und lasse es geschehen. Irgendwo in der Vorstadt vor einem Einfamilienhaus setzt er mich ab. Ich bedanke mich. Zücke schon ein wenig halbherzig mein Portemonnaie, als er losbrüllt:

»Spinnst du? Da gibste mal einen für aus, dann ist das gut.«

»Ja, ich hatte mir schon fast sowas gedacht.«

Er fährt wieder los. Ich schaue mich hilfesuchend um. Eine junge Frau kommt aus dem Haus gestürmt, in der Hand ein erstaunlich großes Brotmesser, das lustig in der Frühlingssonne blinkt. Sie schreit mich an: »Ich glaubs ja nich. Was willst du denn noch hier?«

»Äääh Silke?«

»Na wer denn wohl sonst. Na du hast ja Nerven hier nochmal aufzukreuzen.«

»Ähm Silke, ich muß dir was erklären.«

»Na, da bin ich ja mal gespannt. Denn mal los!!!«

Sie steht jetzt direkt vor mir. Bebend vor Zorn. Die Sonnenreflexe der blitzenden Klinge in ihrer wild fuchtelnden Hand blenden mich. Ich habe ernsthaft Angst und höre mich wie in Trance sagen: »Ähm, es tut mir leid. Ääh, es war alles meine Schuld. Ich habe nachgedacht. Ich, ääh, weiß, ich kann es nicht mehr ungeschehen machen, aber ich will versuchen mich zu ändern. Bitte glaube mir, noch nie habe ich etwas so ehrlich gemeint, wie das, was ich jetzt sage, glaube mir: Es steht jetzt ein ganz Anderer vor dir.«

Für einen Moment starrt mich Silke ungläubig an. Dann aber lächelt sie, lässt das Messer fallen und fällt mir in die Arme. Denke jetzt ist auch egal und umarme zurück.

 

Mittlerweile lebe ich seit gut drei Wochen hier mit Silke in Stade. Mit den Kindern verstehe ich mich bestens und auch mit der hakenden Gangschaltung vom Astra komme ich immer besser klar. Auch der Beruf eines Tierarztes ist gar nicht so schwer, wie ich anfangs dachte. Meist sagen mir die Bauern ja immer schon von selbst, was ich verschreiben oder machen soll. Nur eines frage ich mich manchmal: Wo ist eigentlich Heinz?

Illustration von CX Huth