Hinark Husen: Besuch der jungen Dame

Auf Besuch bin ich eigentlich nie eingerichtet, aber noch blöder ist es, wenn man grade Handwerker im Hause hat, die neue Wasserleitungen verlegen und einen ziemlich großen Boiler aufhängen. Die stellen einem ja derart die Bude auf den Kopf, wie man es selbst zu seinen Studententagen kaum je hingekriegt hätte. Es war so gegen halb drei in der Nacht, als ich meine heimatliche Baustelle wieder erreichte. Ich fummelte noch an den Schuhbändern, als es an der Tür klingelte. Ich vermutete meinen Mitbewohner untern auf der Straße, der wohl seinen Schlüssel vergessen hatte, und um ihn ein bisschen zu ärgern, drückte ich zunächst die Gegensprechanlage: »Wer klingelt so spät bei Nacht und Wind?« Nach zwei oder drei Bieren werde ich auch mal poetisch und außerdem wusste ich, dass dieses verbale Zukleisterei meinem WG-Kumpan mächtig auf den Senkel gehen würde. Völlig überraschend meldete sich allerdings eine weibliche Stimme, die um Einlass bat, weil sie ihren Freund im Hinterhaus besuchen wolle.

»Warum klingelst du dann nicht bei ihm?«

»Scheint kaputt zu sein, oder er will nicht aufmachen!«

»Aber dann bringt‘s doch nichts, wenn ich dir jetzt aufmache!«

»Ach bitte, lass mich rein, ich muss dringend mit ihm sprechen.«

»Na, das kann ja jeder behaupten, wer weiß, was du wirklich vor hast?«

»Ganz ehrlich, ich will nur meinen Freund sprechen, oder besser meinen Exfreund.«

Oha, das wurde ja immer schöner, jetzt also schon der Ex. »Na ja, ich will einer potentiellen Versöhnung nicht im Wege stehen.«

Mit diesen Worten drückte ich auf den Türsummer und bahnte mir einen Pfad durch den Schmutz in Richtung Schlafzimmer, als es kurz darauf erneut klingelte. Hier ist ja was los mitten in der Nacht. Ich also wieder zur Gegensprechanlage. Diesmal meldete ich mich weniger poetisch mit: »Hausportier Utrechter 45. Was kann ich für sie tun?«

»Ich bin‘s noch mal!«

»Ach, da schau her, die Exfreundin. Soll ich die Vermittlerrolle übernehmen? Eigentlich wollte ich schlafen gehen.«

»Nö, ich hab‘s mir anders überlegt, du hast so eine süße Stimme, kann ich zu dir hochkommen?«

Wie bitte? Was war das? Zu mir? Ja, wo leben wir denn? Im Wedding, okay, also adäquat antworten, so richtig müde war ich eh noch nicht und das mit der süßen Stimme, das hat mir so auch noch keiner gesagt.

Illustration von CX Huth

»Okay, aber bring einen Sechserträger mit, ich hab kein Bier mehr im Haus!«

»Tut mir leid, ich hab nur noch 30 Cent in der Tasche.«

Lobenswert, dass sie immerhin nicht »auf Tasche« gesagt hat! Eine Frau mit Stil, ich war geködert.

»Gut, ich komm runter, wir kaufen uns Bier in der Kneipe nebenan.«

Ich also runter und eine wirklich nicht unattraktive Blondine stand an der Haustür, die sich mit Melanie vorstellte, schätzungsweise so knapp vor den 30.

Kaum dass wir mit dem Bier wieder oben bei mir waren – ich machte mir gerade Sorgen, ob ich nicht doch ein bisschen zu spontan für mein Alter reagiert hatte – kam die Bemerkung von ihr, dass ich wohl schwul sei, wenn sie das richtig einschätzen würde.

»Aber hallo!«, rief ich erfreut, »da kannst du mal von ausgehen.« Das machte die Sache doch erheblich unkomplizierter. Nicht dass ich davon ausgegangen wäre, dass der nächtliche Besuch unbedingt mit mir das Bett zu teilen gedachte, aber es quatscht sich doch erheblich leichter, wenn beide Gesprächteilnehmer nicht ständig über Sex nachdenken müssen. Damit waren die Verhältnisse geklärt und Melanie ließ sich darüber aus, wie sie die letzten Tage im Krankenhaus verbracht hatte, weil ihr Freund ihr eine Eierstockentzündung an den Hals gehängt hatte. Nun ja, »an den Hals hängen« ist in diesem Zusammenhang wohl eine ziemlich bescheuerte Formulierung, aber was soll‘s.

Man kriegt also Eierstockentzündungen durch Geschlechtsverkehr. Ich hatte allerdings nicht das Bedürfnis, dieses Thema zu vertiefen, und fragte lieber nach ihrer Herkunft. Sie sei eine Innenarchitektin aus Bremen. Wegen eines Jobs war sie nach Berlin gekommen. Die Klitsche, in der sie eine Anstellung fand, machte aber bald darauf schon dicht und nun sei sie arbeitslos. Wir plauderten noch ein wenig über die Isolation des Großstädters und besichtigten anschließend die Baustelle im Bad. Auf dem Wannenrand sitzend sagte sie dann völlig unvermittelt, sie wolle jetzt doch poppen.

Warum müssen Frauen immer so sprunghaft sein, das verstehe wer will. Ohne eine Antwort abzuwarten verschwand sie in mein Schlafzimmer und legte sich ins Bett. Bis auf die Schuhe allerdings komplett angezogen. Weitere Details erübrigen sich hier. Ich war an Geschlechtsverkehr mit der eierstockerkrankten Dame nicht weiter interessiert, aber deshalb gleich mein Schlafzimmer räumen und auf dem Sofa übernachten kam auch nicht in Frage. Zwei Stunden später klingelte schon der Handwerker und ich raffte mich auf, Kaffee zu kochen. Kurz darauf tauchte dann auch Melanie im Flur auf und verabschiedete sich. Der Klempner schielte kurz zu ihr hinüber und erstaunlicherweise vermied er es dann an diesem Morgen, mir jeden seiner Handgriffe bis ins Detail zu erklären. Er grinste nur immer ein bisschen dämlich. So kommt man also über Nacht zu klempnerischen Sachverstand. Auch nicht schlecht.